Dienstag, 15. Januar 2013

Kirche und Welt - Anregungen von Clemens und Justin

Bei meiner bisherigen Kirchenväterlektüre ist mir noch einmal bewusst geworden, wie viele der Fragen, mit denen sich die Väter konfrontiert sahen, zu bleibenden Fragen für Theologie und Kirche geworden sind. Eine Frage, die mich seit einiger Zeit beschäftigt, ist die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Welt. Bei einer Dekanatskonferenz habe ich einmal in einer Gruppendiskussion eher nebenher auf dieses Spannungsverhältnis hingewiesen. Ein Diakon sah mich daraufhin an, als habe er die versammelte Piusbruderschaft vor sich. Die Kirche sei doch schlichtweg ein Teil unserer Welt, da dürfe es doch überhaupt keine Spannung geben - und wo es sie doch gibt, umso schlimmer.

Der Beginn des Ersten Clemensbriefs spricht da in deutlichen Worten eine andere Sprache: "Die Kirche Gottes, die zu Rom in der Fremde lebt, an die Kirche Gottes, die zu Korinth in der Fremde lebt." Dieses Bewusstsein, dass die Kirche Gottes in dieser Welt immer irgendwie in der Fremde lebt, teilt Clemens von Rom mit dem amerikanischen Theologen Stanley Hauerwas. Im Vorwort zu seinem Buch "Resident Aliens" unterstreicht er, es sei das Wesen der Kirche, zu jeder Zeit und in jeder Situation eine Kolonie zu sein - eine Kolonie von Gottes neuer Welt in unserer alten. Wo das ernst genommen wird, bleibt es nicht aus, dass sich Kirche und Welt irgendwie fremd gegenüber stehen.

Was nun dieses Bewusstsein vor dem Abgleiten in Fundamentalismus bewahrt, sind zwei ergänzende Überzeugungen: Die Kirche ist nicht für sich da, sondern für die Welt. Die Kirche hat der Welt zu dienen, und sie tut es gerade, indem sie anders ist als die Welt. "The first task of the church is not to make the world more just, but to make the world the world" (Stanley Hauerwas).

Die zweite Ergänzung findet sich eindrucksvoll bei einem anderen der frühen Kirchenväter, bei Justin dem Märtyrer. In seinen beiden Apologien sucht er die intelektuelle Auseinandersetzung mit der heidnischen Umwelt. Dass eine solche Auseinandersetzung möglich ist, hat seine Ursache nicht etwa in einer gemeinsamen neutralen Vernunftbasis, sondern vielmehr darin, dass auch der nichtchristliche Gesprächspartner "Anteil hat an dem in Keimen ausgestreuten Logos (logos spermatikos) und für das diesem Verwandte ein Auge hat" (2.Apologie 13).

Das Bewusstsein eines Fremdseins in der Welt darf nicht dazu führen, dass sich christliche Gottesrede in ein Ghetto zurückzieht. Das Gespräch mit der Kultur, in der sich Kirche jeweils vorfindet, im Sinn einer vernünftigen Apologetik muss geführt werden. Der anglikanische Theologe Graham Ward drückt es so aus:

"Christian apologetics situates the theological task with respect to the gospel of salvation in Christ freely offered to the world; a world not divorced from Christ but whose meaning is only known with respect to Christ as the one through whom all things were made and have their being. (...) Upon the basis of apologetics rests, then, the Christian mission not only to disseminate the good news, but to bring about cultural transformation concomitant with the coming of the Kingdom of God. (...) Both the danger and the possibility of apologetics lie in the degree of critical difference between the Christian evangelium and the ways of the world. But, and this remains fundamental, neither can be accessed without the other." (Cultural Transformation and Religious Practice)

"Christliche Apologetik verortet die Aufgabe der Theologie mit Bezug auf die frohe Botschaft von der Erlösung in Christus, die der Welt in Freiheit angeboten wird; einer Welt, die nicht von Christus getrennt ist, sondern deren Sinn nur in Beziehung zu Christus erkannt werden kann, durch den alle Dinge gemacht wurden und ihr Sein haben. (...) Auf der Grundlage der Apologetik steht daher die christliche Sendung, die gute Nachricht nicht nur auszubreiten, sondern auch kulturelle Veränderung zu bewirken, die dem Kommen des Gottesreiches entspricht. (...) Sowohl die Gefahr als auch die Möglichkeit von Apologetik liegen in dem Grad kritischer Differenz zwischen dem christlichen Evangelium und den Wegen der Welt. Aber - und das bleibt entscheidend - zu keinem von beiden gibt es einen Zugang ohne das jeweils andere." (Meine Übersetzung)

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