Mittwoch, 27. November 2013

Evangelii Gaudium - Ermutigung und Ermahnung für Pfarrgemeinden

Ich habe das neue Apostolische Schreiben Evangelii Gaudium von Papst Franziskus noch nicht gelesen. Die mehr als deutliche Kapitalismuskritik des Papstes ("Diese Wirtschaft tötet.") brachte dem Text sogar eine lobende Erwähnung bei den erzlinken Nachdenkseiten ein.
Bei catholicity and covenant wurde ich auf eine Textpassage aufmerksam, die wenig mediale Beachtung gefunden hat, die mich aber besonders freut. In einer Zeit, in der die klassische Pfarrgemeinde oft als eine überholte kirchliche Sozialform hingestellt wird, betont der Papst die herausragende Bedeutung der Pfarrgemeinde für Gegenwart und Zukunft der Kirche - aber nicht ohne einen Aufruf zu notwendiger Erneuerung.

28. Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Formen annehmen, die die innere Beweglichkeit und die missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. Obwohl sie sicherlich nicht die einzige evangelisierende Einrichtung ist, wird sie, wenn sie fähig ist, sich ständig zu erneuern und anzupassen, weiterhin » die Kirche [sein], die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt «.Das setzt voraus, dass sie wirklich in Kontakt mit den Familien und dem Leben des Volkes steht und nicht eine weitschweifige, von den Leuten getrennte Struktur oder eine Gruppe von Auserwählten wird, die sich selbst betrachten. Die Pfarrei ist eine kirchliche Präsenz im Territorium, ein Bereich des Hörens des Wortes Gottes, des Wachstums des christlichen Lebens, des Dialogs, der Verkündigung, der großherzigen Nächstenliebe, der Anbetung und der liturgischen Feier. Durch all ihre Aktivitäten ermutigt und formt die Pfarrei ihre Mitglieder, damit sie aktiv Handelnde in der Evangelisierung sind.Sie ist eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung. Wir müssen jedoch zugeben, dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen sind, Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme bilden und sich völlig auf die Mission ausrichten.

29. Die anderen kirchlichen Einrichtungen, Basisgemeinden und kleinen Gemeinschaften, Bewegungen und andere Formen von Vereinigungen sind ein Reichtum der Kirche, den der Geist erweckt, um alle Umfelder und Bereiche zu evangelisieren. Oftmals bringen sie einen neuen Evangelisierungs-Eifer und eine Fähigkeit zum Dialog mit der Welt ein, die zur Erneuerung der Kirche beitragen. Aber es ist sehr nützlich, dass sie nicht den Kontakt mit dieser so wertvollen Wirklichkeit der örtlichen Pfarrei verlieren und dass sie sich gerne in die organische Seelsorge der Teilkirche einfügen. Diese Integration wird vermeiden, dass sie nur mit einem Teil des Evangeliums und der Kirche verbleiben oder zu Nomaden ohne Verwurzelung werden.

Dienstag, 12. November 2013

Eugene Peterson: The Pastor (2)

Als eine große Entdeckung des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", gilt die Tatsache, dass der christliche Glaube zu konkreten Zeiten an konkreten Orten gelebt wird. Diese Konkretheit des Glaubens betont auch Eugene Peterson nachdrücklich.

"Ich bin Seelsorger. Meine Arbeit hat mit Gott und mit Seelen zu tun - gewaltige Geheimnisse, die niemand jemals gesehen hat. Aber ich übe diese Arbeit unter Bedingungen aus - Ort und Zeit -, die ich sehe und ermesse, wo auch immer ich mich befinde, zu welcher Zeit auch immer. Diese Bedingungen kann man nicht umgehen. Ich will aufmerksam sein auf diese Bedingungen. Ich will auf diese Bedingungen genauso aufmerksam sein wie auf die heiligen Geheimnisse."

Eugene Peterson.jpgDer Glaube wird an konkreten Orten lebendig. Das beginnt mit den Schauplätzen des biblischen Geschehens. Peterson schreibt, wie ein nüchternes Buch über die Geographie des heiligen Landes zur prägenden Lektüre seiner Studienjahre wird. Beth-El und Jerusalem, Ägypten und Babylon, Nazareth und Kafarnaum - Peterson begreift darin, dass das keine Ideen sind, sondern Orte auf unserem Planeten, an denen sich die erstaunliche Geschichte zwischen Gott und Mensch ereignet. Er erzählt vom Sommerhaus seiner Eltern in Montana, das für ihn von der Kindheit bis ins Alter Rückzugsort wird, Ort der Einkehr, der Reflexion, des Gebets - "heiliger Boden". Er erzählt von dem Vorort in Maryland, in dem er jahrzehntelang Pastor war. Ein gänzlich unspektakulärer Ort, aber der Ort, an dem es für ihn galt, der Geschichte zwischen Gott und den Menschen heute nachzuspüren. Er berichtet, wie er beim Lesen Wendell Berrys gelernt hat, was für einen traditionellen Landwirt der Boden bedeutet, wie wichtig es ist, seine Beschaffenheit zu kennen, mit wie viel Sorgfalt und Geduld er bearbeitet werden muss, damit er Ertrag bringen kann. Und Peterson schreibt, wie er immer mehr die Parallelen seiner Arbeit als Seelsorger mit der des Farmers gesehen hat.

Neben dem konkreten Ort muss der Seelsorger seine Wahrnehmung auch für die konkrete Zeit schärfen, für den kairos. Jetzt, an diesem Tag, in diesem Augenblick kann die überzeitliche Wirklichkeit Gottes eintreten in unsere Zeit.
"Die Erlösung tritt jetzt im Moment im Schoß der Schöpfung, genau jetzt. Sei aufmerksam. Sei bereit: "Die Zeit ist erfüllt..." Kehr um. Glaube."
Die Schöpfung heute abend und morgen früh, in Maryland oder im Schwarzwald, in Jerusalem oder Stuttgart, kann Schauplatz für das rettende Handeln Gottes werden. Aufgabe des Seelsorgers ist es, dieses Handeln wahrzunehmen und anderen zu helfen, es auch wahrzunehmen.

Montag, 11. November 2013

Gottesentzug

"Manchmal entzieht sich uns Gott, damit wir Fragende bleiben. Das macht uns als Menschen aus. Es bedeutet, dass ich im Angesicht einer Verheißung lebe."

(aus: Martin Schleske, Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens.)

Gute und nützliche Bücher für die Pastoral

https://www.booksofthebible.com/stock/p6111d.jpgEs war ein lebhafter Kontrast zu den Gedanken von Eugene Peterson, was ich in James N. Reinhardts Buch "22 Steps to a Great Catholic Parish" gefunden habe. Reinhardt legt einen aus dem amerikanisch-katholischen Kontext kommenden How-to-Guide für die Arbeit in Kirchengemeinden vor. Als frisch mit der Gemeindeleitung beauftragter Seelsorger war ich neugierig auf dieses Buch, als ich im Internet zufällig darauf stieß. Mein ambivalentes Fazit nach dem Lesen: Das Buch ist nicht gut, aber nützlich.
Es ist nicht gut, weil es aus genau derjenigen fragwürdigen spirituellen und pastoralen Grundhaltung heraus verfasst ist, gegen die sich Peterson in seinen Veröffentlichungen wendet. Es geht bei Reinhardts 22 Steps andauernd darum, was wir alles "machen" müssen, damit unsere Gemeinde "great" wird. Das bedeutet nicht, dass in diesem Buch Gebet, Glaubensgespräche und Umgang mit der Schrift keine Rolle spielen würden. Aber die Grundhaltung ist - theologisch gesprochen - mehr oder weniger offen pelagianisch: Es kommt auf unser Tun an, und das Ziel ist es, Erfolg zu haben, eine großartige, überdurchschnittliche Gemeinde aufzubauen. Müsste aber nicht zumindest auch davon die Rede sein, dass Seelsorge zu einem Großteil der Zeit der ganz unspektakuläre Versuch ist, in einer ganz gewöhnlichen Gemeinde zusammen mit ganz gewöhnlichen Menschen dem Wirken Gottes im ganz gewöhnlichen Leben dieser Menschen auf die Spur zu kommen? Pastoral bedeutet doch oft ganz banal, mit den vorgefundenen Bedingungen einer Gemeinde umzugehen, damit zurechtzukommen, dass sie nur sehr begrenzt "optimierbar" ist - was nicht zuletzt mit dem sich einem realistischen Blick zeigenden Unvollkommenheit meiner selbst als Seelsorger zu tun hat.
Nun ist es aber natürlich auch richtig, dass diese Sicht nicht als spirituell verbrämte Rechtfertigung pastoraler Trägheit herhalten darf. Natürlich sollen wir uns nicht zurücklehnen und mit Verweis auf den Vorrang der Gnade Gottes unsere Arbeit einstellen. Und natürlich gibt es Dinge, die in unseren Kirchengemeinden verbessert werden können, gibt es Hindernisse, die gerade dem Eigentlichen im Weg stehen, und die wir deshalb geduldig und stetig abbauen sollten. Und hier gibt Reinhardts Buch durchaus nützliche Anregungen. Er lenkt den Blick auf die Frage, was wir dafür tun, dass sich Menschen in unseren Gottesdiensten und auch in unseren Büros willkommen fühlen. Er wirbt dafür, dass wir Möglichkeiten zur Vertiefung des Glaubens ins Zentrum unserer Aktivitäten stellen sollten, und dass dann daraus eine Haltung erwächst, in der Menschen gerne und selbstverständlich Geld, Zeit und Talente für die Glaubensgemeinschaft Kirchengemeinde einbringen. Er erinnert daran, dass Hauptamtliche wieder und wieder denen, die sich auf diese Weise einbringen, Zeichen und Worte der Wertschätzung entgegenbringen sollten.
Eine Menge brauchbarer Gedanken für ein Buch, das eigentlich - genau genommen - nicht wirklich gut ist :-)

Samstag, 2. November 2013

Eugene Peterson: "The Pastor" (1)



http://faithoncampus.com/wp-content/uploads/2012/02/Eugene-Peterson1.jpgVor einigen Monaten hatte ich angekündigt, über Eugene Peterson und seine Memoiren „The Pastor“ zu schreiben. Dieses Versprechen will ich endlich einlösen. Ich finde, dass Petersons Auffassung von dem Beruf, von der Berufung eines Seelsorgers eine große Inspiration sein kann und besonders auch ein Korrektiv zu Konzepten, die pastorale Mitarbeiter in die Rolle von „Machern“ und „religiösen Dienstleistern“ rücken – unausgesprochen und manchmal auch ausgesprochen.
Was das verbreitete Bild von Seelsorgern [das Wort „pastor“ gebe ich durchgehend so wieder] anbelangt, so ist Peterson sehr pessimistisch. Vielleicht auch ein Stück zu pessimistisch, aber er hat natürlich die Situation in den USA im Blick, die ich nicht kompetent genug beurteilen kann.


„Die Berufung des Seelsorgers wurde ersetzt durch die Strategien religiöser Unternehmer mit Geschäftsideen. Es gibt praktisch keine Kontinuität zu Seelsorgern vergangener Zeiten.“


Besonders hier sieht Peterson einen Mangel. Wieder und wieder, auch in seinen anderen Büchern, empfiehlt er Seelsorgern die Lektüre von Texten früherer Kollegen. Dem über die Jahrhunderte bewährten Erfahrungsschatz misst er höhere Bedeutung zu als dem verzweifelten Bemühen um Heutigkeit und Originalität.


„Wir sind eine Generation, die das Gefühl hat, als müsste sie von Null anfangen, um eine Möglichkeit zu finden, dieses facettenreiche und umfassende Leben Christi darzustellen und zu nähren.“


Dieses Gefühl ist natürlich nicht einfach unberechtigt. Die religiöse Situation unserer Zeit ist eine andere als die vergangener Jahrhunderte. Das gilt es realistisch wahrzunehmen. Und möglicherweise stellt Peterson zu wenig die unausweichliche Notwendigkeit heraus, darauf kreativ zu reagieren. Aber Peterson nimmt realistisch die Gefahren der gegenwärtigen Konsumgesellschaft für das Leben der Christen wahr. Er warnt davor, dieses Leben der Konsummentalität anzupassen durch eine marktkonforme Kirche, die einfach "religiöse Dienstleistungen" anbietet,


„Die kulturellen Bedingungen, in denen ich mich befinde, machen es erforderlich, zumindest für mich selbst, dass ich meine Berufung vor diesen kulturellen Giften beschütze, die so gefährlich sind für Menschen, die Jesus auf die Weise folgen wollen, auf die er Jesus ist.“


Wie behält Peterson den klaren Blick für das, was in seiner Berufung wichtig ist?


„Ich wollte, dass mein Leben, sowohl mein persönliches als auch mein berufliches Leben, von Gott und von der Heiligen Schrift und vom Gebet geformt wird.“


Es geht also nicht so sehr darum, was ein Seelsorger tut und was er nicht tut. Es geht vielmehr darum, wie man seine Prioritäten setzt, wo der Fokus im beruflichen Selbstverständnis liegt.


„Ich mache mir Gedanken, ob an der Wurzel dieser Mängel die kulturelle Annahme liegt, dass alle Leiter Leute sind, die „Dinge erledigen“ und dafür sorgen, „dass etwas passiert“. Das gilt bestimmt für die vorherrschenden Modelle von Leitung, die aus unserer Kultur in unsere Aufmerksamkeit geraten – Politiker, Geschäftsleute, Werbemacher, Publizisten, Stars und Sportler. Aber auch wenn die Tätigkeit als Seelsorger manche dieser Komponenten enthält, so ist doch das bestimmende Element in unserer 2000 Jahre alten seelsorgerlichen Tradition nicht, „Dinge zu erledigen“. Vielmehr geht es darum, dass eine Person in einer Gemeinschaft lebt, um aufmerksam darauf zu sein und aufmerksam darauf zu machen, „was hier und jetzt geschieht“ zwischen Frauen und Männern, untereinander und mit Gott – das Reich Gottes, das sich zu allererst an konkreten Orten ereignet, das ganz persönlich ist und das mit Beten „ohne Unterlass“ einhergeht.“


Eugene Peterson rückt einem den Kopf gerade für das, was bei unserer Tätigkeit wirklich zählt. Und das sind in erster Linie keine pastoralen Konzepte, keine Methoden des Projektmanagements, kein Sich-Abmühen um Originalität und Innovation. Es ist die wache, aus Gebet und Umgang mit der Schrift kommende Aufmerksamkeit darauf, wie Gott im Leben der Menschen wirkt, mit denen wir zu tun haben. Ich habe es auch der Lektüre von Eugene Peterson zu verdanken, dass ich mich in meinem beruflichen Tun zumindest immer wieder einmal daran erinnere.

Könnt ihr mit diesen Gedanken etwas anfangen? Teilt ihr Petersons Problemanalyse?
In den nächsten Wochen werde ich versuchen, noch mehr Gedanken aus „The Pastor“ vorzustellen und zu kommentieren.

Ende der Blogpause

Als ich diesen Blog begonnen habe, war ich mir unsicher, ob ich die Disziplin haben würde, wirklich regelmäßig zu schreiben. Und jetzt hat es wirklich eine sehr lange Pause gegeben. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass ich im September eine neue Stelle angetreten habe - in Baiersbronn im Nordschwarzwald, in der Kirchengemeinde Maria Königin der Apostel. Ich bin hier als "Pfarrbeauftragter" tätig, als Pastoralreferent mit erweitertem Leitungsauftrag. Diese Funktion sieht das Kirchenrecht als Möglichkeit für den Fall vor, dass in einer Pfarrgemeinde auf Dauer die Pfarrstelle nicht mehr besetzt wird.

Meine Familie und ich haben uns hier schon gut eingelebt. Die Umgebung ist traumhaft, die Gemeinde hat uns herzlich aufgenommen, und die Arbeit lässt sich sehr interessant und vielfältig an.
Und jetzt habe ich beschlossen, auch das Bloggen wieder aufzunehmen. Insbesondere eine Kollegin hat mich diese Woche charmant dazu gedrängt. Mein erklärtes Ziel ist es, wenigstens einen Post pro Woche zu schreiben. Mal sehen, ob die Motivation anhält. Der eine oder andere Kommentar zu meinen Texten würde vielleicht helfen...