Donnerstag, 14. Juli 2016

Leitungskongress (IX): Allen Catherine Kagina - Die Kultur verändern

Ein Herzstück in der Arbeit der Willow Creek Foundation ist die Arbeit an sozialen Projekten in den verschiedensten Weltgegenden. Kurzberichte über solche Projekte wurden in Hannover immer wieder eingespielt. Im Hauptprogramm kam die Thematik Entwicklungsarbeit durch das Referat von Allen Catherine Kagina aus Uganda zur Sprache. Leider konnte Kagina nicht vor Ort in Hannover sein, ihr Vortrag wurde als Video eingespielt.

Allen Catherine Kagina hat in leitender Position für die Steuerbehörde in Uganda gearbeitet und dabei großes im Kampf gegen die Korruption geleistet. Von ihrer Motivation, von den Widerständen und den Erfolgen ihrer Arbeit berichtete sie eindrucksvoll in ihrem Vortrag.

In Erinnerung geblieben ist mir vor allem, als sie davon erzählte, dass sie gerne als Pastorin in einer Kirchengemeinde gearbeitet hätte und zwischenzeitlich überlegte, ihre Arbeit in der Steuerbehörde dafür aufzugeben. Damals hat ihr ein Pastor gesagt: "You are an annointed tax collector" - "Du bist eine gesalbte Steuereintreiberin". Gesalbt von Gott zu einem priesterlichen Dienst in dieser Welt - das kann auf ganz unterschiedliche Tätigkeiten zutreffen, nicht nur auf solche im Innenraum von Kirche. Kirche als Zeichen und Werkzeug der Einheit der Menschen untereinander und mit Gott erblüht an vielen Orten, auch da, wo eine mutige Frau mit ihrer Steuerbehörde den Kampf gegen Korruption, für Gerechtigkeit und Entwicklung aufnimmt.

Mittwoch, 13. Juli 2016

Leitungskongress (VIII) - Liz Wiseman: Die Klugheit der Anfänger

ie Unternehmensberaterin Liz Wiseman sprach in Hannover über die Klugheit der Anfänger und über die Notwendigkeit für Führungspersonen, sich immer wieder in die Situation eines Anfängers zu versetzen.
In der Entwicklung eines Leiters gibt es bestimmte Anzeichen für das Erreichen eines Plateaus, auf dem keine weitere Entwicklung mehr stattfindet:
  • Alles läuft.
  • Du kennst schon die Antworten auf die wesentlichen Fragen, die mit deiner Aufgabe zusammenhängen.
  • Du bekommst positives Feedback.
  • Du bist für andere in der Rolle eines Mentors.
  • Du bist beschäftigt, dabei aber zunehmend gelangweilt.
Um in dieser Situation nicht steckenzubleiben, sondern sich weiterzuentwickeln, ist es für Wiseman wichtig, wieder zu einem Lernenden zu werden.
Dafür gibt Liz Wiseman folgende Ratschläge;
  • Wirf deine Aufzeichnungen weg! Ein zunächst eigenartig, wenn nicht sogar nahezu wahnsinnig wirkender Vorschlag. Wiseman sieht eine große Gefahr darin, sich auf alte Aufzeichnungen zu stützen. Wenn ich mir die Dinge wieder neu erarbeiten muss, gehe ich wieder wie ein Anfänger vor und entwickle neue Lösungsansätze.
  • Stell wieder die entscheidenden Fragen, damit du dich wieder daran erinnerst, worum es eigentlich geht.
  • Gib zu, was du nicht weißt.
  • „Surfe mit den Amateuren!“ Umgib dich mit Anfängern – so kannst du leichter wieder in den Modus eines Lernenden hineinfinden.
  • „Disqualifiziere“ dich selbst. Versuche, dir Fertigkeiten wieder neu anzueignen, sozusagen von Null anzufangen.
In schnellen Zeiten wie den unseren, so Wiseman, kommt es nicht so sehr darauf an, was wir wissen, sondern darauf, wie schnell wir lernen können. Darum ist es wichtig, immer wieder zum Lernenden, zum Anfänger zu werden.
In den Gedanken von Liz Wiseman finde ich mich mit meinen eigenen Erfahrungen ganz gut wieder. Man gerät leicht in einen Trott bei wiederkehrenden Tätigkeiten, seien es Predigten, die Leitung von Sitzungen etc. Man macht die Dinge immer irgendwie gleich, weil es ja funktioniert, aber man entwickelt sich nicht mehr weiter. Vielleicht liegen ja große Chancen darin, einmal anders an die Sache heranzugehen. Wenn ich dann so tue, als würde ich mir alles noch einmal neu erarbeiten, meine erste Predigt vorbereiten, meine erste Sitzung leiten, entstehen neue Ideen, neue Perspektiven, neue Lernchancen.
Ein guter Ratschlag aus diesem Vortrag: Die Anfänger haben ihre ganz eigene Klugheit. Versuche, immer mal wieder ein Anfänger zu werden.

Montag, 20. Juni 2016

Leitungskongress (VII): Joseph Grenny - Schwierige Gespräche führen

Der zweite Vortrag von Joseph Grenny in Hannover hatte ein Thema, das gerade auch in Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Organisationen hohe praktische Relevanz hat – weil es dort oftmals ignoriert wird, wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß.

Entscheidende Gespräche in einer Organisation zeichnen sich laut Joseph Grenny durch drei Faktoren aus: Sie enthalten gegensätzliche Meinungen, sie gehen mit starken Gefühlen einher und sie haben ein hohes Risiko, was ihren Ausgang angeht.

Die Gesundheit einer Beziehung, eines Teams oder einer Organisation leitet sich laut Grenny ab aus der durchschnittlichen Zeitdauer zwischen der Identifikation eines Problems, das ein entscheidendes Gespräch erfordern würde, und dem Gespräch selbst. Insbesondere in Kirchengemeinden gäbe es allerdings meistens keine Kultur für Konflikte und solche schwierigen Gespräche.

Das stimmt mit meiner Beobachtung ganz klar überein. Auch mit meiner Selbstbeobachtung übrigens. Wir tendieren in kirchlichen Kreisen allzu oft dazu, konfliktträchtige Gespräche zu vermeiden. Und Grenny macht zurecht klar, dass wir damit nichts gewinnen, aber sehr viel verlieren können. Er weist darauf hin, das auch in der Bibel das Prinzip gelte, die Wahrheit in Liebe anzusprechen, und nicht etwa, sie zu verschweigen. Wir haben dagegen häufig das Gefühl, dass wir uns zwischen Wahrheit und intakter Beziehung entscheiden müssten. Stabile Freundschaften und Beziehungen funktionieren aber im Gegenteil nur auf Grundlage von Wahrheit.

Grenny nannte einige Situationen in einer Gemeinde, die entscheidende Gespräche erfordern würden: Wenn haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter nicht die gewünschte Leistung erbringen; wenn Gemeindemitglieder mit Sünde kämpfen oder sich von der Gemeinde entfernen; wenn es Schwierigkeiten mit der Gemeindeleitung gibt.

Entscheidend ist es für unsere Gemeinden, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen offen ihre Meinung sagen können. Denn schwierige Gespräche sind der entscheidende Weg, unsere Ziele zu erreichen.

Wenn nun tatsächlich angesichts eines bestehenden Problems ein Gespräch stattfindet, kann natürlich immer noch einiges schiefgehen. Es kann z.B. sein, dass wir über das Falsche reden, über einen Nebenschauplatz, aber nicht über das eigentliche Problem. Ein Signal dafür ist es, wenn wir dasselbe Gespräch immer wieder führen, ohne dass sich an der unbefriedigenden Situation irgendetwas ändern würde.

Helfen kann es dann, wenn man darüber nachdenkt, wo der Kern des Problems liegt. In dem direkten Problem, welches das Gespräch veranlasst hat? Oder eher in einem wiederkehrenden Muster, das bereits zu verschiedenen Problemen geführt hat? Oder – noch fundamentaler – in einer gestörten Beziehung? Je nachdem ist ein unterschiedliches Gespräch nötig.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass Ehrlichkeit niemals das Problem ist. Grenny schärfte noch einmal ein, dass man die Wahrheit sagen und einen Freund behalten bzw. eine Beziehung aufrecht erhalten oder sogar verbessern kann. Dazu ist es entscheidend, mit der Haltung in ein Gespräch zu gehen: „Wir haben ein Problem“, nicht etwa „Du hast ein Problem“ oder gar „Du bist ein Problem“. Zwei Faktoren sind laut Grenny in den ersten 30 Sekunden eines Gesprächs dafür entscheidend, dass es der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern mehr nutzt als schadet: Zu zeigen, dass die Probleme des anderen dir wichtig sind, weil ihr gemeinsame Ziele habt. Und zu zeigen, dass dir die andere Person wichtig ist, weil eure Beziehung auf gegenseitigem Respekt aufbaut. Durch die Berücksichtigung dieser Faktoren entsteht eine Atmosphäre der Sicherheit, in der man dann tatsächlich über alle Probleme offen reden kann.

Ich erlebe es immer wieder, in der Kirchengemeinde, auf diözesaner Ebene und anderswo, dass aus einem falschen Harmoniestreben heraus Probleme nicht offen und ehrlich angesprochen werden. Und ich bekenne offen, dass das auch bei mir immer wieder vorkommt. Aus Angst davor, ein offen angegangener Konflikt könnte Beziehungen verkomplizieren oder zu noch mehr Ärger führen, lässt man Dinge auf sich beruhen. Das kann lähmen, das kann Nerven kosten, das kann uns an der Erfüllung unseres Auftrags hindern. Und das kann schleichend die menschliche Kultur in einer Gemeinde oder Organisation vergiften, weil ja nicht etwa nicht über die Probleme gesprochen wird, sondern dann eben oftmals in Andeutungen oder hintenherum. Auch Papst Franziskus prangert ja immer wieder das Gelästere in der Kirche an. Eine offene, ehrliche und vor allem von Respekt und Wertschätzung geprägte Gesprächs- und Konfliktkultur, wie sie Joseph Grenny in Hannover beschrieben hat, kann da Abhilfe schaffen.

Dienstag, 7. Juni 2016

Leitungskongress (VI): Christine Caine - In der Dunkelkammer Gottes

„Jeder braucht eine verrückte Tante aus Australien“, bemerkte Christine Caine zu Beginn ihres Vortrags – und als solche präsentierte sie sich. Zugleich überdreht und erfrischend, forderte Christine Caine mit ihrem ungebremsten Redefluss die ausgezeichnete Simultanübersetzerin ganz gehörig. Christine Caine hat eine schwere Lebensgeschichte hinter sich, geprägt von sexuellen Missbrauchserfahrungen in ihrer Kindheit. Heute ist sie Autorin einer Reihe christlicher Bücher und gemeinsam mit ihrem Ehemann Gründerin mehrerer Organisationen: zur Bekämpfung von Menschenhandel, zur Unterstützung christlicher Gemeinden und Gemeinschaften weltweit und zur Förderung von jungen Frauen in Leitungspositionen.

In Hannover sprach Christine Caine von der Dunkelkammer Gottes. Sie erinnerte an die Zeiten (lang ist’s her), als man in eine Fotokamera noch einen Film einlegen musste, der dann in der Dunkelkammer eines Fotolabors entwickelt werden musste. Gott „entwickelt“ und in seiner Dunkelkammer. Wir wollen aber häufig aus dieser Dunkelkammer Gottes fliehen, bevor er mit uns fertig ist. Christine Caine wies mit dieser Metapher auf die langen Durststrecken hin, die es im Leben eines Seelsorgers und Gemeindeleiters gibt. Wo sich Erfolge nicht einstellen wollen, wo nichts vorwärts zu gehen scheint, wo Frust und Selbstzweifel wachsen. Nach Christine Caine sind das Zeiten, die wir in der Dunkelkammer Gottes verbringen. Gott nutzt diese Zeiten für unsere Entwicklung. Das gilt es durchzuhalten – in der Zuversicht, dass Gott Großes mit uns vorhat, auch wenn das noch nicht sichtbar ist.

Christine Caines Begeisterung für den Glauben war ansteckend und motivierend. Zugleich war das auch einer der Vorträge, während denen für mich deutlich wurde, dass dieser Stil, über den Glauben zu reden, für mich zwar ein interessantes Gegengewicht zu der meist sehr zurückhaltenden, defensiven Glaubenssprache meiner eigenen Kirche ist, dass ich das aber auch nicht immer haben wollte.

Ermutigung hatte Christine Caine gerade auch für die Kirche in Deutschland parat. Enthusiastisch lobte sie die Aufnahmebereitschaft vieler Deutscher in der Flüchtlingsfrage: „The grace of this nation is unbelievable!“ Kurz vor dem Kongress in Hannover war die Stimmung in manchen Kreisen in Deutschland ja schon sehr stark am Kippen, insbesondere nach der Silvesternacht in Köln. Da war es umso interessanter und hoffnungsvoller zu erleben, wie engagierte Christen aus dem Ausland – und zwar keine liberal-progressiven, sondern evangelikale – die Situation wahrnahmen. „Die Augen der Welt schauen auf euch!“ rief Christine Cainer ihren deutschen Zuhörern zu. Und sie zeigte sich überzeugt: „Die größten Tage der Kirche in dieser Nationen liegen vor uns, nicht hinter uns.“
Diesen Optimismus können wir dringend gebrauchen. So oft nimmt der Blick auf die Kirche in Deutschland nur Abwärtstrend, Niedergang, Bedeutungsverlust wahr. Aber darunter können sich unerwartete Aufbrüche ereignen. Und sie ereignen sich auch bereits vielerorts. Wir dürfen noch etwas erwarten von der Zukunft der Kirche in unserem Land.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Leitungskongress (V): Johannes Hartl - Existenzielles Gebet

Johannes Hartl ist – ich muss es vorweg sagen – bei mir mit ambivalenten Gefühlen besetzt. Der katholische Theologe und Gründer des Augsburger Gebetshauses ist ein sehr origineller Redner und Autor, klug argumentierend und lebendig erzählend. Geistliches Leben und Gebet ist seine große Leidenschaft und die Begeisterung dafür will er weitergeben. Gleichzeitig ärgere ich mich immer wieder über Tweets von ihm, die in gesellschaftspolitischen Fragen eine eigenartige Freund-Feind-Polemik pflegen und fragwürdige Stimmungen bedienen. Da frage ich mich manchmal, ob das wirklich ein und derselbe Mensch sein soll. Naja, in der Flüchtlingsfrage konnte er in Hannover von Michael Diener, Christine Caine und Michael Herbst Stoff zum Nach- und vielleicht Umdenken erhalten – zumindest was manche Formulierungen angeht.

Johannes Hartls Vortrag selbst war völlig überzeugend. Es ging um das Gebet. Aber zunächst einmal ging es um – nichts. Und tatsächlich mutete Hartl es den Zuhörern zu, dass erst einmal lange nichts geschah und nichts gesprochen wurde. Sich über das Nichts dem Thema „Existenzielles Gebet“ anzunähern, das stößt bei jemandem wie mir, für den die Tradition negativer Theologie ein ganz wichtiger Einfluss war und ist, gleich mal auf Sympathie.

Beten heißt für Hartl, sich erst einmal von jedem „Etwas“ frei zu machen, das sonst unser Leben bestimmt. Statt dem Etwas-Tun, Etwas-Denken, Etwas-Wollen ist der Weg des Gebets der Weg nach Innen, der Weg zum Sein führt.

Und solches beten kann man lernen, führte Hartl aus. Ist das einfach oder schwer? Beten ist wie lieben, meint Johannes Hartl, es ist einfach, aber es kostet dich alles. Eine tolle Formulierung! Beten ist der Ort der Kapitulation, der Moment, an dem ich es aufgebe, selbst etwas erreichen zu wollen und mich ganz Gott überlasse – ganz einfach und unendlich schwer. Wo solches Beten gelernt wird, da kann daraus ein Lebensstil entstehen, der von innen wächst, der komplett aus dem Sein lebt. Das ist eine Herausforderung für den Einzelnen, aber auch für Gemeinden. Johannes Hartl träumt von Gemeinden, die das Innen neu entdecken.

Da schließt Hartl an den Wunsch von Papst Johannes Paul II. an, dass Gemeinden Schulen des Gebets sein mögen. Lokale Kirchenentwicklung wird in unserem Prozess „Kirche am Ort“ als geistlicher Prozess verstanden, der von geistlichen Haltungen geprägt ist. Solche Haltungen sind gut und wünschenswert. Vielleicht müssen wir uns aber auch noch stärker darauf besinnen, dass jede nachhaltige kirchliche Erneuerung eine Erneuerung und Vertiefung des Gebetslebens braucht. Wie können Gemeinden das Innen neu entdecken und zu Schulen des Gebets werden? Diese Zukunftsfrage gehört hinein ins Zentrum jeder Kirchenentwicklung und des Prozesses „Kirche am Ort“.

Montag, 25. April 2016

Leitungskongress (IV): Michael Diener - Aus der Fülle leiten

Mit Sorge beobachte ich immer wieder die Lagermentalität in der deutschen kirchlichen Landschaft – in der katholischen wie in der evangelischen Kirche: „rechts“ gegen „links“, „konservativ“ gegen „progressiv“. Die Art und Weise, wie übereinander gesprochen wird, wie man an der anderen „Seite“ kein gutes Haar lässt, wie sachliche Diskussionen auf der Grundlage des doch eigentlich gemeinsamen Glaubens durch Polemik und Unterstellungen verhindert werden, auch wie bestimmte Themen mehr oder weniger willkürlich zur Gretchenfrage in Bezug auf Rechtgläubigkeit bzw. Weltoffenheit gemacht werden – das finde ich immer wieder bedrückend.

Michael Diener scheint da anders zu ticken – so wenigstens nehme ich es wahr. Als ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz gehört er zu den prominentesten Vertretern des vom liberalen Mainstream abweichenden deutschen Protestantismus. Im letzten Jahr machte er sich in den eigenen Reihen Feinde, als er beim Thema Homosexualität bei den Evangelikalen zu Selbstkritik und zur Gesprächsbereitschaft mit anderen Positionen aufrief. Wohlgemerkt: Es ging dabei nicht um die Aufgabe evangelikaler Positionen, lediglich zur fairen und nachdenklichen Auseinandersetzung mit anderen Überzeugungen, denen man nach Diener nicht einfach pauschal vorwerfen darf, unchristlich und unbiblisch zu sein.

In Hannover ging es Diener um die Zukunft der Kirche in Deutschland. Sein Vortrag stand unter den Leitworten Vergebung, Barmherzigkeit und Einheit. Nicht das schlechteste Reformprogramm. Bei Prozessen der Gemeindeentwicklung sind das ganz sicher Haltungen, die eine zentrale Rolle spielen müssen.

Gemeinden stellt sich Diener vor als Orte mit Vergebungskultur, als Genesungshäuser.
Und er fügt hinzu: Unsere Zeit schreit danach, dass Menschen barmherzig sind. Wie am nächsten Kongresstag Michael Herbst, so betonte auch Michael Diener, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen der Testfall für unsere Bereitschaft zur Barmherzigkeit ist – und zwar jenseits aller politischen Fragen. Sehr eindrucksvoll formulierte Diener, wie wunderbar es doch eigentlich ist, dass sich Millionen Menschen nichts sehnlicher wünschen, als auf ihrer Flucht in demselben Land anzukommen, aus dem noch vor wenigen Jahrzehnten Menschen vor Mord und Terror geflohen sind. Ein unglaubliches Vertrauen, das uns da entgegengebracht wird. Ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, wird sich an unserer Bereitschaft zur Barmherzigkeit zeigen. Diener warnt: „Lasst uns aufpassen, dass unser Reichtum unserer Barmherzigkeit nicht im Weg steht.“ Davor können sich Christen mit der Einsicht wappnen, dass alles, was wir haben, ohnehin Gott gehört und nicht uns selbst.

Mit der Notwendigkeit der Einheit unter den Christen – auch angesichts von 45.000 unterschiedlichen christlichen Konfessionen weltweit – schloss Dieners Vortrag. Der Kongress in Hannover, und nicht zuletzt auch Michael Dieners Vortrag, bestärkte in mir mal wieder die Überzeugung: Einheit kann da am besten wachsen, wo Christen von ihrem Glauben begeistert sind, wo sie die Mitte ihres Glaubens, den dreieinigen Gott, ins Zentrum stellen, und wo sie das auf eine Weise tun, die nicht über andere Menschen den Stab bricht.

Freitag, 22. April 2016

Leitungskongress (III): Joseph Grenny - Einfluss gewinnen

Der amerikanische Unternehmens- und Organisationsberater Joseph Grenny war gleich mit zwei Vorträgen auf dem Leitungskongress vertreten. Während ich den zweiten sehr wichtig und hilfreich fand (dazu später mehr), habe ich an ersten zum Thema „Einfluss gewinnen“ kritische Rückfragen – womit ich nicht bestreite, dass es auch hier richtige und wertvolle Einsichten gab.

Unsere Effektivität als Gemeindeleiter, so Grenny, hängt davon ab, ob wir Sozialwissenschaftler sind. Wenn man sich die religionssoziologischen Diskussionen der letzten Jahre, z.B. um die Sinus-Milieus, vor Augen führt, wird man dem sicher zustimmen können. Ein waches Auge für und ein reflektiertes Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge ist in der Pastoral sicher ein wichtiges Werkzeug.

Grenny definiert nun die Sozialwissenschaften (social sciences) über die beiden Fragen: „Warum tun Menschen, was sie tun?“ und „Wie kann ich ihnen helfen, sich zu verändern?“ Lassen wir mal beiseite, dass das eine recht willkürliche Einengung möglicher Fragestellungen zu sein scheint, und schauen wir, was für Joseph Grenny daraus folgt.

Es folgt primär, dass Leitung bewusste Einflussnahme ist („Leadership is intentional influence“). „Wenn du die Welt verändern willst, ist die beste Möglichkeit dazu, das Verhalten von Menschen zu verändern.“ Dazu müssten wir zuerst verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun. Und genau dabei sind wir als Kirchen-Leute oft naiv, so Grenny.

Joseph Grenny stellte dann eine Matrix vor, welche Faktoren das Verhalten von Menschen beeinflussen – garniert mit witzigen und verblüffenden Filmeinspielungen über Experimente zum Verhalten von Kindern angesichts angebotener Süßigkeiten. Die eine Achse der Matrix umfasst die Größen „persönlich“, „sozial“ und „strukturell“, die andere Achse die Größen „Motivation“ und „Befähigung“, so dass sich nach Grenny insgesamt sechs grundlegende Möglichkeiten ergeben, auf das Verhalten von Menschen Einfluss zu nehmen:
  • Hilf ihnen, zu lieben, was sie hassen. (persönliche Motivation)
  • Hilf ihnen, zu tun, was sie nicht können. (persönliche Befähigung)
  • Ermutige sie durch positiven Einfluss anderer Menschen. (soziale Motivation)
  • Unterstütze sie in ihrem Handeln. (soziale Befähigung)
  • Verändere die ökonomischen Rahmenbedingungen. (strukturelle Motivation)
  • Verändere ihre Umgebung durch anregende Signale. (strukturelle Befähigung)
Auf ein paar dieser Einflussmöglichkeiten ging Grenny nur kurz ein, auf andere ausführlicher. Der erste Job eines Leiters sei es, dafür zu sorgen, dass sich gute Dinge gut anfühlen und schlechte schlecht. Das verändert die persönliche Motivation. Oftmals veränderten sich die Gefühle bei einer Handlung bereits durch die dafür verwendeten Formulierungen. Erwünschte Verhaltensweisen müssten also mit positiven Begriffen verbunden werden, damit sich auch das entsprechende Verhalten besser anfühlt.

Der zweite Job eines Leiters ist es, Lehrer bzw. Anleiter zu sein, um die persönliche Befähigung zu erwünschten Verhalten positiv zu beeinflussen. Der Leiter müsse permanent für Möglichkeiten sorgen, Fähigkeiten unter realistischen Bedingungen anzuwenden: Konzentration auf eine bestimmte Fähigkeit am eigenen Limit und mit sofortigem Coaching.

Ein Leiter, gerade auch im kirchlichen Kontext, müsse sich laut Grenny ständig fragen, ob die Faktoren, die menschliches Verhalten beeinflussen, für oder gegen die eigenen Ziele arbeiten, und dann versuchen, diese Faktoren gegebenenfalls zu verändern.

Wie eingangs gesagt: Ich fand die Stoßrichtung von Joseph Grennys Vortrag ambivalent. Da schwang mir zu viel Manipulation mit. Sicher gut gemeinte Manipulation, aber eben doch Manipulation. Es wird eine extreme Kluft aufgemacht zwischen Leitern, die auf Verhalten Einfluss nehmen, und den Geleiteten als Objekten dieser Einflussnahme. Prozesse lokaler Kirchenentwicklung haben sich dagegen auf Grundlage der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils zurecht das Prinzip partizipativer Leitung auf die Fahnen geschrieben. Leitung zielt nach diesem Prinzip darauf ab, möglichst viele an Leitungsprozessen zu beteiligen, Leitung demnach primär als Ermöglichung und Befähigung zu verstehen, und zwar als Ermöglichung von Freiheit und Befähigung zu frei gewähltem Teilhaben an Verantwortung. Das ergibt sich, kirchlich betrachtet, notwendig aus der gemeinsamen Taufwürde, die jedem Getauften Anteil gibt am Priester-, Propheten- und Königsamt Jesu Christi. Anthropologisch scheint mir hier (bei einem freikirchlichen Milieu vielleicht nicht überraschend) eine pessimistische Sicht auf den (von der Sünde korrumpierten) Menschen im Hintergrund zu stehe, dem man einen vernünftigen Umgang mit seiner Freiheit eigentlich nicht zutrauen kann, und den man deshalb erst mit allen möglichen Wegen der Einflussnahme (um nicht zusagen Tricks) in die richtige Richtung lenken muss.

Bevor ich allerdings in meiner Kritik zu negativ klinge: Joseph Grenny hat natürlich recht, dass ohnehin immer und von allen Seiten Einfluss auf das Verhalten von Menschen genommen wird. Da sollten wir tatsächlich nicht naiv sein. Und wenn wir als Leiter die Möglichkeit haben (und die haben wir immer wieder - mal mehr und mal weniger stark), Faktoren zu beeinflussen, die es Menschen erleichtern, ihr Verhalten in eine bessere, lebensförderlichere, evangeliumsgemäßere Richtung zu verändern, dann wäre es sicher unklug zu sagen, dass wir das nicht tun sollten – zumal der Verzicht auf die Veränderung ausschlaggebender Faktoren natürlich auch eine Form von Einflussnahme ist, manchmal eine besonders destruktive. Aber wenn wir – gerade in der Kirche – auf das Verhalten von Menschen Einfluss nehmen, dann sollten wir uns immer darum bemühen, es auf transparente, nicht manipulative Weise zu tun, die wertschätzend den guten Anlagen im anderen Menschen vertraut und dessen Freiheit fördert.