Freitag, 22. April 2016

Leitungskongress (II): Bill Hybels - Das Unbeschreibbare von Führung

Mit dem Star des Kongresses ging es gleich los: Willow Creek-Pastor Bill Hybels, der zu Beginn gleich mit einer Anekdote über seine für einen Pastor erstaunliche Berühmtheit kokettierte. Beim Einsteigen in ein Flugzeug wurde er von den mitfliegenden Teilnehmern eines Leitungskongresses so begeistert begrüßt, dass die Stewardess ihn für einen Star hielt. Als sie erfuhr, dass er ein Pastor sei, war sie erleichtert: "Thank God, I thought you were someone important!"

In Hannover sprach Hybels über "Das Unbeschreibbare von Führung". Was Hybels intressant macht, ist die Begeisterung und Konsequenz, mit der er seit Jahrzehnten das Thema Leitung ins Zentrum seiner Arbeit stellt. Dieses Thema wird in kirchlichen Kontexten oft eher etwas verschämt angegangen. Und sicher: Es kann stellenweise schon ein wenig befremdlich anmuten, wenn Hybels über die Leitung einer Gemeinde wie ein Unternehmensberater spricht. Aber fehlende Professionalität und Kompetenz in der Gemeindeleitung ist eben nicht Ausweis von tieferer Spiritualität, sondern zunächst eben nur von fehlender Professionalität und Kompetenz. Wer Leitungsqualitäten vernachlässigt, tut einer Gemeinde in der Regel nichts Gutes. Abgesehen davon, wird die tiefe spirituelle Verankerung von Hybels' Leitungsverständnis immer wieder sehr deutlich. Auch das ist sicher nicht jedermanns Stil, muss es aber auch nicht sein.

"Leite auf dem höchsten Niveau, das dir irgendwie möglich ist", fordert Hybels auf. Und dazu braucht es für ihn neben den eher handfesten Leitungskompetenzen, die eher versteckten Qualitäten - das Unbeschreibbare von Führung (The intangibles of leadership). Fünf solche Qualitäten beschreibt Hybels.

1. Zähigkeit (grit)

Zähigkeit ist die Fähigkeit, bei Widerständen nicht aufzugeben. Kann diese Fähigkeit entwickelt werden? Ja, aber das verlangt, dass man Schwierigkeiten erlebt. Schwierigkeiten und Widerstände sind daher eine große Chance, sich weiterzuentwickeln, die Zähigkeit zu erwerben, die es braucht, um auch nach vielen Jahren noch Leitungsverantwortung ausüben zu können.

2. Selbstwahrnehmung (self awareness)

Wir haben alle unsere bliden Flecken. Das Problem ist nicht, dass wir Fehler und Schwächen haben, zu einem großen Problem kann es werden, wenn wir uns dieser Schwächen nicht bewusst sind. Bill Hybels' Rat: Frag andere ganz offen nach deinen blinden Flecken.

3. Erfindungsreichtum (ressourcefulness)

Diese Qualität definiert Hybels als die Fähigkeit, heruaszufinden, was man tun soll, wenn man nicht weiß, was man tun soll. Dazu gehört, sich weiter zu bemühen, wenn es nicht vorwärts zu gehen scheint, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten und immer wieder auch zu scheitern - aber auch zu lernen, das Scheitern zu lieben, weil sich daraus neue Lernchancen ergeben.

4. Aufopfernde Liebe (self sacrificing love)

Das steht für Hybels im inneren Kern eines guten Leiters. "Wenn Leiter aufopfernde Liebe leben, verändert das eine ganze Organisation." Denn: "Liebe lässt ein menschliches Herz niemals so zurück, wie sie es vorgefunden hat."

5. Gefühl für den tieferen Sinn (sense of meaning)

Leiter sind für Hybels primär "Sinnstiftungsdirektoren", wie der Dolmetscher "chief meaning officer" übersetzt. Dem Leiter muss klar sein, warum seine Organisation für diese Welt wichtig ist - und er muss das anderen vermitteln. Er muss das Warum begreifen und anderen helfen, es auch zu begreifen.

Leitung ist so wichtig - so lautet das wiederkehrende Mantra von Bill Hybels. Und Leitung, so macht er in seinem Vortrag deutlich, hängt nicht nur an bestimmten Fertigkeiten - daran auch -, sondern primär an bestimmten Haltungen, die man erwerben kann, gerade im Lernen aus Fehlern und Misserfolgen.

Prozesse lokaler Kirchenentwicklung, wie sie der Prozess "Kirche am Ort" zu initiieren versucht, brauchen gute Leitung. Dazu bedarf es (haupt- und ehrenamtlicher) Menschen, die Freude daran haben, sich die dafür notwendigen Kompetenzen anzueignen. Wie bei "Kirche am Ort" geht es auch bei Bill Hybels' Leitungsverständnis primär um die Frage nach den richtigen Haltungen. Diese lassen sich weder auf die fünf von Hybels genannten beschränken, noch auf die vier, die der Prozess "Kirche am Ort" in den Mittelpunkt stellt (lassen, erwarten, vertrauen, wertschätzen). Aber die Frage  "Aus welchem Geist heraus, übe ich (dienende!) Leitung aus", muss gerade im kirchlichen Kontext immer zentral sein und sozusagen die Hintergrundfolie für alles konkrete Leitungshandeln darstellen. Bill Hybels konnte plausibel machen, dass eine solche Haltung nicht nur geistlicher ist, sondern gleichzeitig auch effektiver.

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