Der amerikanische Unternehmens- und
Organisationsberater Joseph Grenny war gleich mit zwei Vorträgen auf
dem Leitungskongress vertreten. Während ich den zweiten sehr wichtig
und hilfreich fand (dazu später mehr), habe ich an ersten zum Thema
„Einfluss gewinnen“ kritische Rückfragen – womit ich nicht
bestreite, dass es auch hier richtige und wertvolle Einsichten gab.
Unsere Effektivität als
Gemeindeleiter, so Grenny, hängt davon ab, ob wir
Sozialwissenschaftler sind. Wenn man sich die religionssoziologischen
Diskussionen der letzten Jahre, z.B. um die Sinus-Milieus, vor Augen
führt, wird man dem sicher zustimmen können. Ein waches Auge für
und ein reflektiertes Nachdenken über gesellschaftliche
Zusammenhänge ist in der Pastoral sicher ein wichtiges Werkzeug.
Grenny definiert nun die
Sozialwissenschaften (social sciences) über die beiden Fragen:
„Warum tun Menschen, was sie tun?“ und „Wie kann ich ihnen
helfen, sich zu verändern?“ Lassen wir mal beiseite, dass das eine
recht willkürliche Einengung möglicher Fragestellungen zu sein
scheint, und schauen wir, was für Joseph Grenny daraus folgt.
Es folgt primär, dass Leitung bewusste
Einflussnahme ist („Leadership is intentional influence“). „Wenn
du die Welt verändern willst, ist die beste Möglichkeit dazu, das
Verhalten von Menschen zu verändern.“ Dazu müssten wir zuerst
verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun. Und genau dabei
sind wir als Kirchen-Leute oft naiv, so Grenny.
Joseph Grenny stellte dann eine Matrix
vor, welche Faktoren das Verhalten von Menschen beeinflussen –
garniert mit witzigen und verblüffenden Filmeinspielungen über
Experimente zum Verhalten von Kindern angesichts angebotener
Süßigkeiten. Die eine Achse der Matrix umfasst die Größen
„persönlich“, „sozial“ und „strukturell“, die andere
Achse die Größen „Motivation“ und „Befähigung“, so dass
sich nach Grenny insgesamt sechs grundlegende Möglichkeiten ergeben,
auf das Verhalten von Menschen Einfluss zu nehmen:
- Hilf ihnen, zu lieben, was sie hassen. (persönliche Motivation)
- Hilf ihnen, zu tun, was sie nicht können. (persönliche Befähigung)
- Ermutige sie durch positiven Einfluss anderer Menschen. (soziale Motivation)
- Unterstütze sie in ihrem Handeln. (soziale Befähigung)
- Verändere die ökonomischen Rahmenbedingungen. (strukturelle Motivation)
- Verändere ihre Umgebung durch anregende Signale. (strukturelle Befähigung)
Auf ein paar dieser
Einflussmöglichkeiten ging Grenny nur kurz ein, auf andere
ausführlicher. Der erste Job eines Leiters sei es, dafür zu sorgen,
dass sich gute Dinge gut anfühlen und schlechte schlecht. Das
verändert die persönliche Motivation. Oftmals veränderten sich die
Gefühle bei einer Handlung bereits durch die dafür verwendeten
Formulierungen. Erwünschte Verhaltensweisen müssten also mit
positiven Begriffen verbunden werden, damit sich auch das
entsprechende Verhalten besser anfühlt.
Der zweite Job eines Leiters ist es,
Lehrer bzw. Anleiter zu sein, um die persönliche Befähigung zu
erwünschten Verhalten positiv zu beeinflussen. Der Leiter müsse
permanent für Möglichkeiten sorgen, Fähigkeiten unter
realistischen Bedingungen anzuwenden: Konzentration auf eine
bestimmte Fähigkeit am eigenen Limit und mit sofortigem Coaching.
Ein Leiter, gerade auch im kirchlichen
Kontext, müsse sich laut Grenny ständig fragen, ob die Faktoren,
die menschliches Verhalten beeinflussen, für oder gegen die eigenen
Ziele arbeiten, und dann versuchen, diese Faktoren gegebenenfalls zu
verändern.
Wie eingangs gesagt: Ich fand die
Stoßrichtung von Joseph Grennys Vortrag ambivalent. Da schwang mir
zu viel Manipulation mit. Sicher gut gemeinte Manipulation, aber eben
doch Manipulation. Es wird eine extreme Kluft aufgemacht zwischen
Leitern, die auf Verhalten Einfluss nehmen, und den Geleiteten als
Objekten dieser Einflussnahme. Prozesse lokaler Kirchenentwicklung
haben sich dagegen auf Grundlage der Ekklesiologie des Zweiten
Vatikanischen Konzils zurecht das Prinzip partizipativer Leitung auf
die Fahnen geschrieben. Leitung zielt nach diesem Prinzip darauf ab,
möglichst viele an Leitungsprozessen zu beteiligen, Leitung demnach
primär als Ermöglichung und Befähigung zu verstehen, und zwar als
Ermöglichung von Freiheit und Befähigung zu frei gewähltem
Teilhaben an Verantwortung. Das ergibt sich, kirchlich betrachtet,
notwendig aus der gemeinsamen Taufwürde, die jedem Getauften Anteil
gibt am Priester-, Propheten- und Königsamt Jesu Christi.
Anthropologisch scheint mir hier (bei einem freikirchlichen Milieu
vielleicht nicht überraschend) eine pessimistische Sicht auf den
(von der Sünde korrumpierten) Menschen im Hintergrund zu stehe, dem
man einen vernünftigen Umgang mit seiner Freiheit eigentlich nicht
zutrauen kann, und den man deshalb erst mit allen möglichen Wegen
der Einflussnahme (um nicht zusagen Tricks) in die richtige Richtung
lenken muss.
Bevor ich allerdings in meiner Kritik
zu negativ klinge: Joseph Grenny hat natürlich recht, dass ohnehin
immer und von allen Seiten Einfluss auf das Verhalten von Menschen
genommen wird. Da sollten wir tatsächlich nicht naiv sein. Und wenn
wir als Leiter die Möglichkeit haben (und die haben wir immer wieder
- mal mehr und mal weniger stark), Faktoren zu beeinflussen, die es
Menschen erleichtern, ihr Verhalten in eine bessere,
lebensförderlichere, evangeliumsgemäßere Richtung zu verändern,
dann wäre es sicher unklug zu sagen, dass wir das nicht tun sollten
– zumal der Verzicht auf die Veränderung ausschlaggebender
Faktoren natürlich auch eine Form von Einflussnahme ist, manchmal
eine besonders destruktive. Aber wenn wir – gerade in der Kirche –
auf das Verhalten von Menschen Einfluss nehmen, dann sollten wir uns
immer darum bemühen, es auf transparente, nicht manipulative Weise
zu tun, die wertschätzend den guten Anlagen im anderen Menschen
vertraut und dessen Freiheit fördert.
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