Freitag, 22. April 2016

Leitungskongress (III): Joseph Grenny - Einfluss gewinnen

Der amerikanische Unternehmens- und Organisationsberater Joseph Grenny war gleich mit zwei Vorträgen auf dem Leitungskongress vertreten. Während ich den zweiten sehr wichtig und hilfreich fand (dazu später mehr), habe ich an ersten zum Thema „Einfluss gewinnen“ kritische Rückfragen – womit ich nicht bestreite, dass es auch hier richtige und wertvolle Einsichten gab.

Unsere Effektivität als Gemeindeleiter, so Grenny, hängt davon ab, ob wir Sozialwissenschaftler sind. Wenn man sich die religionssoziologischen Diskussionen der letzten Jahre, z.B. um die Sinus-Milieus, vor Augen führt, wird man dem sicher zustimmen können. Ein waches Auge für und ein reflektiertes Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge ist in der Pastoral sicher ein wichtiges Werkzeug.

Grenny definiert nun die Sozialwissenschaften (social sciences) über die beiden Fragen: „Warum tun Menschen, was sie tun?“ und „Wie kann ich ihnen helfen, sich zu verändern?“ Lassen wir mal beiseite, dass das eine recht willkürliche Einengung möglicher Fragestellungen zu sein scheint, und schauen wir, was für Joseph Grenny daraus folgt.

Es folgt primär, dass Leitung bewusste Einflussnahme ist („Leadership is intentional influence“). „Wenn du die Welt verändern willst, ist die beste Möglichkeit dazu, das Verhalten von Menschen zu verändern.“ Dazu müssten wir zuerst verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun. Und genau dabei sind wir als Kirchen-Leute oft naiv, so Grenny.

Joseph Grenny stellte dann eine Matrix vor, welche Faktoren das Verhalten von Menschen beeinflussen – garniert mit witzigen und verblüffenden Filmeinspielungen über Experimente zum Verhalten von Kindern angesichts angebotener Süßigkeiten. Die eine Achse der Matrix umfasst die Größen „persönlich“, „sozial“ und „strukturell“, die andere Achse die Größen „Motivation“ und „Befähigung“, so dass sich nach Grenny insgesamt sechs grundlegende Möglichkeiten ergeben, auf das Verhalten von Menschen Einfluss zu nehmen:
  • Hilf ihnen, zu lieben, was sie hassen. (persönliche Motivation)
  • Hilf ihnen, zu tun, was sie nicht können. (persönliche Befähigung)
  • Ermutige sie durch positiven Einfluss anderer Menschen. (soziale Motivation)
  • Unterstütze sie in ihrem Handeln. (soziale Befähigung)
  • Verändere die ökonomischen Rahmenbedingungen. (strukturelle Motivation)
  • Verändere ihre Umgebung durch anregende Signale. (strukturelle Befähigung)
Auf ein paar dieser Einflussmöglichkeiten ging Grenny nur kurz ein, auf andere ausführlicher. Der erste Job eines Leiters sei es, dafür zu sorgen, dass sich gute Dinge gut anfühlen und schlechte schlecht. Das verändert die persönliche Motivation. Oftmals veränderten sich die Gefühle bei einer Handlung bereits durch die dafür verwendeten Formulierungen. Erwünschte Verhaltensweisen müssten also mit positiven Begriffen verbunden werden, damit sich auch das entsprechende Verhalten besser anfühlt.

Der zweite Job eines Leiters ist es, Lehrer bzw. Anleiter zu sein, um die persönliche Befähigung zu erwünschten Verhalten positiv zu beeinflussen. Der Leiter müsse permanent für Möglichkeiten sorgen, Fähigkeiten unter realistischen Bedingungen anzuwenden: Konzentration auf eine bestimmte Fähigkeit am eigenen Limit und mit sofortigem Coaching.

Ein Leiter, gerade auch im kirchlichen Kontext, müsse sich laut Grenny ständig fragen, ob die Faktoren, die menschliches Verhalten beeinflussen, für oder gegen die eigenen Ziele arbeiten, und dann versuchen, diese Faktoren gegebenenfalls zu verändern.

Wie eingangs gesagt: Ich fand die Stoßrichtung von Joseph Grennys Vortrag ambivalent. Da schwang mir zu viel Manipulation mit. Sicher gut gemeinte Manipulation, aber eben doch Manipulation. Es wird eine extreme Kluft aufgemacht zwischen Leitern, die auf Verhalten Einfluss nehmen, und den Geleiteten als Objekten dieser Einflussnahme. Prozesse lokaler Kirchenentwicklung haben sich dagegen auf Grundlage der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils zurecht das Prinzip partizipativer Leitung auf die Fahnen geschrieben. Leitung zielt nach diesem Prinzip darauf ab, möglichst viele an Leitungsprozessen zu beteiligen, Leitung demnach primär als Ermöglichung und Befähigung zu verstehen, und zwar als Ermöglichung von Freiheit und Befähigung zu frei gewähltem Teilhaben an Verantwortung. Das ergibt sich, kirchlich betrachtet, notwendig aus der gemeinsamen Taufwürde, die jedem Getauften Anteil gibt am Priester-, Propheten- und Königsamt Jesu Christi. Anthropologisch scheint mir hier (bei einem freikirchlichen Milieu vielleicht nicht überraschend) eine pessimistische Sicht auf den (von der Sünde korrumpierten) Menschen im Hintergrund zu stehe, dem man einen vernünftigen Umgang mit seiner Freiheit eigentlich nicht zutrauen kann, und den man deshalb erst mit allen möglichen Wegen der Einflussnahme (um nicht zusagen Tricks) in die richtige Richtung lenken muss.

Bevor ich allerdings in meiner Kritik zu negativ klinge: Joseph Grenny hat natürlich recht, dass ohnehin immer und von allen Seiten Einfluss auf das Verhalten von Menschen genommen wird. Da sollten wir tatsächlich nicht naiv sein. Und wenn wir als Leiter die Möglichkeit haben (und die haben wir immer wieder - mal mehr und mal weniger stark), Faktoren zu beeinflussen, die es Menschen erleichtern, ihr Verhalten in eine bessere, lebensförderlichere, evangeliumsgemäßere Richtung zu verändern, dann wäre es sicher unklug zu sagen, dass wir das nicht tun sollten – zumal der Verzicht auf die Veränderung ausschlaggebender Faktoren natürlich auch eine Form von Einflussnahme ist, manchmal eine besonders destruktive. Aber wenn wir – gerade in der Kirche – auf das Verhalten von Menschen Einfluss nehmen, dann sollten wir uns immer darum bemühen, es auf transparente, nicht manipulative Weise zu tun, die wertschätzend den guten Anlagen im anderen Menschen vertraut und dessen Freiheit fördert.

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