Mit Sorge beobachte ich immer wieder
die Lagermentalität in der deutschen kirchlichen Landschaft – in
der katholischen wie in der evangelischen Kirche: „rechts“ gegen
„links“, „konservativ“ gegen „progressiv“. Die Art und
Weise, wie übereinander gesprochen wird, wie man an der anderen
„Seite“ kein gutes Haar lässt, wie sachliche Diskussionen auf
der Grundlage des doch eigentlich gemeinsamen Glaubens durch Polemik
und Unterstellungen verhindert werden, auch wie bestimmte Themen mehr
oder weniger willkürlich zur Gretchenfrage in Bezug auf
Rechtgläubigkeit bzw. Weltoffenheit gemacht werden – das finde ich
immer wieder bedrückend.
Michael Diener scheint da anders zu
ticken – so wenigstens nehme ich es wahr. Als ehrenamtlicher
Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz gehört er zu den
prominentesten Vertretern des vom liberalen Mainstream abweichenden
deutschen Protestantismus. Im letzten Jahr machte er sich in den
eigenen Reihen Feinde, als er beim Thema Homosexualität bei den
Evangelikalen zu Selbstkritik und zur Gesprächsbereitschaft mit
anderen Positionen aufrief. Wohlgemerkt: Es ging dabei nicht um die
Aufgabe evangelikaler Positionen, lediglich zur fairen und
nachdenklichen Auseinandersetzung mit anderen Überzeugungen, denen
man nach Diener nicht einfach pauschal vorwerfen darf, unchristlich
und unbiblisch zu sein.
In Hannover ging es Diener um die
Zukunft der Kirche in Deutschland. Sein Vortrag stand unter den
Leitworten Vergebung, Barmherzigkeit und Einheit. Nicht das
schlechteste Reformprogramm. Bei Prozessen der Gemeindeentwicklung
sind das ganz sicher Haltungen, die eine zentrale Rolle spielen
müssen.
Gemeinden stellt sich Diener vor als
Orte mit Vergebungskultur, als Genesungshäuser.
Und er fügt hinzu: Unsere Zeit schreit
danach, dass Menschen barmherzig sind. Wie am nächsten Kongresstag
Michael Herbst, so betonte auch Michael Diener, dass die Zuwanderung
von Flüchtlingen der Testfall für unsere Bereitschaft zur
Barmherzigkeit ist – und zwar jenseits aller politischen Fragen.
Sehr eindrucksvoll formulierte Diener, wie wunderbar es doch
eigentlich ist, dass sich Millionen Menschen nichts sehnlicher
wünschen, als auf ihrer Flucht in demselben Land anzukommen, aus dem
noch vor wenigen Jahrzehnten Menschen vor Mord und Terror geflohen
sind. Ein unglaubliches Vertrauen, das uns da entgegengebracht wird.
Ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, wird sich an unserer
Bereitschaft zur Barmherzigkeit zeigen. Diener warnt: „Lasst uns
aufpassen, dass unser Reichtum unserer Barmherzigkeit nicht im Weg
steht.“ Davor können sich Christen mit der Einsicht wappnen, dass
alles, was wir haben, ohnehin Gott gehört und nicht uns selbst.
Mit der Notwendigkeit der Einheit unter
den Christen – auch angesichts von 45.000 unterschiedlichen
christlichen Konfessionen weltweit – schloss Dieners Vortrag. Der
Kongress in Hannover, und nicht zuletzt auch Michael Dieners Vortrag,
bestärkte in mir mal wieder die Überzeugung: Einheit kann da am
besten wachsen, wo Christen von ihrem Glauben begeistert sind, wo sie
die Mitte ihres Glaubens, den dreieinigen Gott, ins Zentrum stellen,
und wo sie das auf eine Weise tun, die nicht über andere Menschen
den Stab bricht.