Der zweite Vortrag von Joseph Grenny in
Hannover hatte ein Thema, das gerade auch in Kirchengemeinden und
anderen kirchlichen Organisationen hohe praktische Relevanz hat –
weil es dort oftmals ignoriert wird, wie ich auch aus eigener
Erfahrung weiß.
Entscheidende Gespräche in einer
Organisation zeichnen sich laut Joseph Grenny durch drei Faktoren
aus: Sie enthalten gegensätzliche Meinungen, sie gehen mit starken
Gefühlen einher und sie haben ein hohes Risiko, was ihren Ausgang
angeht.
Die Gesundheit einer Beziehung, eines
Teams oder einer Organisation leitet sich laut Grenny ab aus der
durchschnittlichen Zeitdauer zwischen der Identifikation eines
Problems, das ein entscheidendes Gespräch erfordern würde, und dem
Gespräch selbst. Insbesondere in Kirchengemeinden gäbe es
allerdings meistens keine Kultur für Konflikte und solche
schwierigen Gespräche.
Das stimmt mit meiner Beobachtung ganz
klar überein. Auch mit meiner Selbstbeobachtung übrigens. Wir
tendieren in kirchlichen Kreisen allzu oft dazu, konfliktträchtige
Gespräche zu vermeiden. Und Grenny macht zurecht klar, dass wir
damit nichts gewinnen, aber sehr viel verlieren können. Er weist
darauf hin, das auch in der Bibel das Prinzip gelte, die Wahrheit in
Liebe anzusprechen, und nicht etwa, sie zu verschweigen. Wir haben
dagegen häufig das Gefühl, dass wir uns zwischen Wahrheit und
intakter Beziehung entscheiden müssten. Stabile Freundschaften und
Beziehungen funktionieren aber im Gegenteil nur auf Grundlage von
Wahrheit.
Grenny nannte einige Situationen in
einer Gemeinde, die entscheidende Gespräche erfordern würden: Wenn
haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter nicht die gewünschte Leistung
erbringen; wenn Gemeindemitglieder mit Sünde kämpfen oder sich von
der Gemeinde entfernen; wenn es Schwierigkeiten mit der
Gemeindeleitung gibt.
Entscheidend ist es für unsere
Gemeinden, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen offen ihre
Meinung sagen können. Denn schwierige Gespräche sind der
entscheidende Weg, unsere Ziele zu erreichen.
Wenn nun tatsächlich angesichts eines
bestehenden Problems ein Gespräch stattfindet, kann natürlich immer
noch einiges schiefgehen. Es kann z.B. sein, dass wir über das
Falsche reden, über einen Nebenschauplatz, aber nicht über das
eigentliche Problem. Ein Signal dafür ist es, wenn wir dasselbe
Gespräch immer wieder führen, ohne dass sich an der
unbefriedigenden Situation irgendetwas ändern würde.
Helfen kann es dann, wenn man darüber
nachdenkt, wo der Kern des Problems liegt. In dem direkten Problem,
welches das Gespräch veranlasst hat? Oder eher in einem
wiederkehrenden Muster, das bereits zu verschiedenen Problemen
geführt hat? Oder – noch fundamentaler – in einer gestörten
Beziehung? Je nachdem ist ein unterschiedliches Gespräch nötig.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass
Ehrlichkeit niemals das Problem ist. Grenny schärfte noch einmal
ein, dass man die Wahrheit sagen und einen Freund behalten bzw. eine
Beziehung aufrecht erhalten oder sogar verbessern kann. Dazu ist es
entscheidend, mit der Haltung in ein Gespräch zu gehen: „Wir haben
ein Problem“, nicht etwa „Du hast ein Problem“ oder gar „Du
bist ein Problem“. Zwei Faktoren sind laut Grenny in den ersten 30
Sekunden eines Gesprächs dafür entscheidend, dass es der Beziehung
zwischen den Gesprächspartnern mehr nutzt als schadet: Zu zeigen,
dass die Probleme des anderen dir wichtig sind, weil ihr gemeinsame
Ziele habt. Und zu zeigen, dass dir die andere Person wichtig ist,
weil eure Beziehung auf gegenseitigem Respekt aufbaut. Durch die
Berücksichtigung dieser Faktoren entsteht eine Atmosphäre der
Sicherheit, in der man dann tatsächlich über alle Probleme offen
reden kann.
Ich erlebe es immer wieder, in der
Kirchengemeinde, auf diözesaner Ebene und anderswo, dass aus einem
falschen Harmoniestreben heraus Probleme nicht offen und ehrlich
angesprochen werden. Und ich bekenne offen, dass das auch bei mir
immer wieder vorkommt. Aus Angst davor, ein offen angegangener
Konflikt könnte Beziehungen verkomplizieren oder zu noch mehr Ärger
führen, lässt man Dinge auf sich beruhen. Das kann lähmen, das
kann Nerven kosten, das kann uns an der Erfüllung unseres Auftrags
hindern. Und das kann schleichend die menschliche Kultur in einer
Gemeinde oder Organisation vergiften, weil ja nicht etwa nicht über
die Probleme gesprochen wird, sondern dann eben oftmals in
Andeutungen oder hintenherum. Auch Papst Franziskus prangert ja immer
wieder das Gelästere in der Kirche an. Eine offene, ehrliche und vor
allem von Respekt und Wertschätzung geprägte Gesprächs- und
Konfliktkultur, wie sie Joseph Grenny in Hannover beschrieben hat,
kann da Abhilfe schaffen.