Montag, 6. Mai 2013
Der Anti-Nietzsche - Zum 200. Geburtstag von Sören Kierkegaard
In der berühmten Passage in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft verkündet der "tolle Mensch" den Umstehenden die Botschaft "Gott ist tot". Alles andere als ein leichtfüßiger Atheismus nach Art der Kampagne "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Also hör auf, dich zu fürchten und genieße das Leben" ist es, was Nietzsche hier ankündigt. Der Tod Gottes stellt den Menschen vor den absoluten Ernstfall. "Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?" Ein bieder-unbekümmerter Lebensgenuss, als ob nichts Wesentliches geschehen wäre, ist nach dem Tod Gottes gerade nicht mehr möglich.
Ich habe in dieser Hinsicht den anderen großen Denker des 19. Jahrhunderts, Sören Kierkegaard, dessen 200. Geburtstag wir in diesen Tagen begehen, immer als den Anti-Nietzsche schlechthin verstanden. Gerade wenn es Gott gibt, stellt das für Kierkegaard den Menschen vor den absoluten Ernstfall seiner Existenz. Der lebendige Gott ist noch viel berunruhigender für den Spießbürger als der tote Gott.
Kierkegaard hat es immer wieder angeprangert, dass in der Kirche dieses Beunruhigende, existentiell Aufrüttelnde so oft überdeckt wird. So schreibt er beispielsweise in "Furcht und Zittern" von dem Pfarrer, der am Sonntag auf der Kanzel mit salbungsvollen Worten den Glauben Abrahams lobt, der bereit war, seinen Sohn Gott zum Opfer darzubringen - "und der Meditierende kann in seiner Meditation ruhig seine Pfeife rauchen, und der Hörende kann ruhig die Beine in aller Bequemlichkeit ausstrecken". Wenn nun aber ein Zuhörer auf den Gedanken käme, es Abraham gleich zu tun und seinen Sohn zu opfern, so wäre verständlicherweise das Entsetzen des Predigers groß. Was in der Begegnung Abrahams mit Gott geschieht, ist erschreckend, aber das Erschrecken über Gott bekommt meistens keinen Platz und wird von beruhigenden Worten zugekleistert.
Beeindruckend ist bei Kierkegaard die Vehemenz, mit der er die unmittelbare existentielle Herasuforderung jedes Menschen durch Gott herausstreicht. "Es gibt keinen Schüler zweiter Hand", schreibt er in den "Philosophischen Brocken". Denn "wenn der Glaubende dadurch der Glaubende und der, der den Gott kennt, ist, dass er die Bedingung vom Gott selbst empfängt, dann muss der Spätere völlig im selben Sinne die Bedingung vom Gott selbst empfangen und kann sie nicht von zweiter Hand entgegennehmen". Jeder Mensch ist völlig unvertretbar mit dem Gott konfrontiert, der "nicht zum Spaß, sondern in Ernst und Wahrheit von gleicher Art wie der Geliebte sein" und sich deshalb "in der Gestalt des Knechts" zeigen will.
Bei Kierkegaard gehen subtile philosophische Begriffsschärfe - man denke an die Definition des Selbst in der "Krankheit zum Tode" - mit literarischer Eleganz und einem unüberhörbaren Ruf zur Glaubensentscheidung Hand in Hand. Man kann Kierkegaard, der täglich durch Kopenhagen spazierte und sich dabei nach eigener Aussage jeden Tag mit etwa 50 Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten unterhielt, als "tollen Menschen" verstehen, der seinen modernen Zeitgenossen den Satz zuruft "Gott ist lebendig - und das sollte uns unruhig machen, denn es verändert für uns alles".
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