Donnerstag, 23. Mai 2013

"Erst einmal durchatmen" - Predigt zu Pfingsten



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Erst einmal tief durchatmen. Das hilft ja in vielen Situationen, nicht nur am Beginn einer Predigt. Durchatmen entschleunigt. Es kann uns zwischen zwei Aufgaben kurz ruhig werden lassen, uns helfen, einen Augenblick ganz bei uns zu sein.


Unser Atem ist natürlich zunächst einmal ein biologisches Phänomen. Für die Bibel ist er aber noch etwas ganz anderes. In unserem Atem drückt sich die Lebenskraft Gottes aus, die in uns wohnt. Denn der Geist Gottes, den wir an Pfingsten feiern, ist in der Sprache des Alten Testaments ein Atem. Geist und Atem sind im Alten Testament dasselbe Wort: Ruach. Der Geist macht lebendig. Er gibt uns Leben, indem er uns durchatmet.

Diese Verbindung findet sich in der ganzen Bibel, und sie hilft uns vielleicht ein wenig, dem auf die Spur zu kommen, worum es an diesem Pfingsttag geht. Wenn das Buch Genesis, das erste Buch der Bibel, davon erzählt, wie Gott den Menschen erschuf, dann heißt es dort, dass Gott den Menschen aus Erde formte und anschließend in seine Nase den Lebensatem blies – die Ruach, den Geist. Das ist eine sehr tiefsinnige Erzählung. Denn sie sagt uns: Der Mensch ist einerseits von der Erde genommen. Er besteht aus Materie, er ist ein chemisches Etwas, ein biologisches Wesen. Aber zugleich ist er auch mehr als das. Der Geist-Atem Gottes weht in ihm. Jeder Atemzug von uns ist ein Atmen des göttlichen Lebens in uns.

Ohne Atmung kein Leben. Ohne die Ruach Gottes kein Leben. Die Ruach macht lebendig. In Psalm 104 beten wir: „Die Erde ist voll von deinen Geschöpfen. Nimmst du ihnen den Geist-Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist-Atem aus, so werden sie alle erschaffen.“ Der Geist-Atem Gottes schenkt Leben. Im Pfingsthymnus haben wir gesungen: „Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn“. Wir dürfen uns Schöpfung ja nicht so vorstellen, dass Gott irgendwann einmal vor Milliarden Jahren die Welt geschaffen hat und damit war sein Geschäft als Schöpfer getan. Gott schafft die Welt in jedem Augenblick, indem er sie im Dasein erhält. In jedem Atemzug schenkt uns Gott neu sein Leben. So lange wir atmen, sind wir lebendig. So lange wir atmen, ist Gottes Geist in uns gegenwärtig. Ob es der erste schreiende Atemzug des neugeborenen Babys ist – Gottes Geist ist in ihm. Ob es der letzte Atemzug des Sterbenden ist – Gottes Geist ist da.

Und so kann schon unser Atmen Gebet sein. Im kontemplativen Beten lenkt der Beter seine Aufmerksamkeit zuerst auf sein Atmen. Aufmerksam auf den eigenen Atem zu achten, bedeutet schon, mit dem Geist Gottes in Berührung zu kommen, dazu braucht es gar keine Worte mehr. Wunderschön drückt das Paulus im Römerbrief aus, wir haben es in der Lesung gehört. Wir Menschen wissen ja oft gar nicht richtig, wie und für was wir beten sollen. Wir brauchen es für Paulus auch gar nicht zu wissen, denn der Geist-Atem nimmt sich unserer Schwachheit an. Der Geist-Atem selber tritt für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Beten heißt, dass der Geist-Atem Gottes, die Ruach, der Heilige Geist in uns betet, Einatmen und ausatmen – so betet in uns Gott zu Gott, so spricht Gott mit Gott, und wir dürfen bei diesem Gespräch dabei sein, in dieses Gespräch mit eintreten.



Mit Gott zu leben, bedeutet, ganz bewusst aus dieser göttlichen Lebenskraft in uns zu leben, unser Leben von ihr gestalten zu lassen. Der Prophet Jesaja hat in seinen Liedern über den Knecht Gottes beschrieben, was das heißt. Er lässt diesen Gottesknecht sagen: „Der Geist-Atem, die Ruach Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, damit ich alle Trauernden tröste, die Trauernden Zions erfreue, ihnen Schmuck bringe anstelle von Schmutz, Freudenöl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung.“ 

Im Lukas-Evangelium liest Jesus in einem Synagogen-Gottesdienst diesen Text vor. Und er macht klar: Dieser Knecht Gottes, von dem hier die Rede ist, das ist niemand anderes als er. Jesus ist der, auf dem der Geist-Atem Gottes ruht. Was für jeden Menschen gilt, gilt für Jesus noch einmal stärker, unübertrefflich: In jedem Augenblick seines Lebens, in jedem seiner Atemzüge ist Gott gegenwärtig, ist die lebendige Schöpferkraft Gottes am Werk. Und der Text aus dem Jesaja-Buch sagt uns klipp und klar, dass das kein esoterisches Kreisen um das eigene Ich bedeutet. Nein, wo die Lebenskraft Gottes auf einem Menschen ruht, wie das bei Jesus der Fall war, dann verändert das die Welt. Dann treibt dieser Geist-Atem Gottes Menschen dazu an, anderen zu mehr Leben, zu mehr Lebendigkeit zu verhelfen, etwas weiterzugeben von dem göttlichen Leben, das in uns atmet. Da wird den Armen ein gutes Wort gesagt, da werden zerbrochene Herzen geheilt, da gehen Menschen hin zu Gefangenen und zu Trauernden und verbreiten Trost und Freude. Das kann der Geist Gottes bewirken, wenn wir unser Leben von seinem pulsierenden Atem bewegen lassen.

Und der Geist-Atem Gottes kann nicht nur einzelne Menschen bewegen. Er schafft Gemeinschaft. In der Lesung aus der Apostelgeschichte kommt er in Sturm und Feuer auf die Jünger Jesu herab und macht sie zu einer begeisterten Gemeinschaft, er macht sie zur Kirche Jesu Christi. Er macht sie zu einer Gemeinschaft, die das lebt, was Jesus gelebt hat, zu einer Gemeinschaft, deren Leben um Gerechtigkeit und Versöhnung, um Barmherzigkeit und um die Verehrung Gottes kreist. Das kann Kirche sein, das ist Kirche, wenn sie sich begeistern lässt, in unserer Gemeinde, in unserer Stadt, auf der ganzen Erde. Ja, komm, heiliger Geist!

Und jetzt erst einmal wieder tief durchatmen.

Fundstücke

Heute einmal ein paar Fundstücke, auf die ich in den letzten Wochen im Netz gestoßen bin:

  • "The heart of Christianity": Eine Apologie der Apologetik von John Milbank. Die intellektuelle Rechtfertigung des Glaubens angesichts seiner Bestreitung gehört zum Wesen christlicher Gottesrede. Allerdings plädiert Milbank für eine Apologetik, die die Vernunft nicht von Gefühl, Vorstellungskraft, Narrativität und Ethik isoliert.
  • Stanley Hauerwas hält zwei großartige Vorträge: einmal über die Frage, ob und warum Seelsorger Jesus lieben sollen, einmal über sein Verständnis christlicher Predigt.
  • Ben Myers von Faith and Theology mit den ersten drei Predigten aus einer Predigtreihe über das Apostolische Glaubensbekenntnis.
  • Etwas ganz anderes: Die Nachdenkseiten veröffentlichen eine Rede von Wolfgang Neskovic, die den Begriff der "gezielten Tötung" und damit die Sprachpolitik der NATO scharf kritisiert.
  • Auf Zeit zu beten stand ein schöner Artikel zu den Abenden, die Jugendliche in einigen deutschen Städten unter Titeln wie Nightfever oder Stay and pray gestalten - auf innovative Weise und mit eucharistischer Anbetung als Zentrum (demnächst z.B. zum zweiten Mal im Stuttgarter Eberhardsdom).
  • Und schließlich: Josef Bordat fasst kurz und prägnant zusammen, wo das methodologische Problem bei Aussagen der Art "Geist gleich Gehirn" liegt.

Montag, 6. Mai 2013

Der Anti-Nietzsche - Zum 200. Geburtstag von Sören Kierkegaard

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In der berühmten Passage in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft verkündet der "tolle Mensch" den Umstehenden die Botschaft "Gott ist tot". Alles andere als ein leichtfüßiger Atheismus nach Art der Kampagne "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Also hör auf, dich zu fürchten und genieße das Leben" ist es, was Nietzsche hier ankündigt. Der Tod Gottes stellt den Menschen vor den absoluten Ernstfall. "Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?" Ein bieder-unbekümmerter Lebensgenuss, als ob nichts Wesentliches geschehen wäre, ist nach dem Tod Gottes gerade nicht mehr möglich.

Ich habe in dieser Hinsicht den anderen großen Denker des 19. Jahrhunderts, Sören Kierkegaard, dessen 200. Geburtstag wir in diesen Tagen begehen, immer als den Anti-Nietzsche schlechthin verstanden. Gerade wenn es Gott gibt, stellt das für Kierkegaard den Menschen vor den absoluten Ernstfall seiner Existenz. Der lebendige Gott ist noch viel berunruhigender für den Spießbürger als der tote Gott.

Kierkegaard hat es immer wieder angeprangert, dass in der Kirche dieses Beunruhigende, existentiell Aufrüttelnde so oft überdeckt wird. So schreibt er beispielsweise in "Furcht und Zittern" von dem Pfarrer, der am Sonntag auf der Kanzel mit salbungsvollen Worten den Glauben Abrahams lobt, der bereit war, seinen Sohn Gott zum Opfer darzubringen - "und der Meditierende kann in seiner Meditation ruhig seine Pfeife rauchen, und der Hörende kann ruhig die Beine in aller Bequemlichkeit ausstrecken". Wenn nun aber ein Zuhörer auf den Gedanken käme, es Abraham gleich zu tun und seinen Sohn zu opfern, so wäre verständlicherweise das Entsetzen des Predigers groß. Was in der Begegnung Abrahams mit Gott geschieht, ist erschreckend, aber das Erschrecken über Gott bekommt meistens keinen Platz und wird von beruhigenden Worten zugekleistert.

Beeindruckend ist bei Kierkegaard die Vehemenz, mit der er die unmittelbare existentielle Herasuforderung jedes Menschen durch Gott herausstreicht. "Es gibt keinen Schüler zweiter Hand", schreibt er in den "Philosophischen Brocken". Denn "wenn der Glaubende dadurch der Glaubende und der, der den Gott kennt, ist, dass er die Bedingung vom Gott selbst empfängt, dann muss der Spätere völlig im selben Sinne die Bedingung vom Gott selbst empfangen und kann sie nicht von zweiter Hand entgegennehmen". Jeder Mensch ist völlig unvertretbar mit dem Gott konfrontiert, der "nicht zum Spaß, sondern in Ernst und Wahrheit von gleicher Art wie der Geliebte sein" und sich deshalb "in der Gestalt des Knechts" zeigen will.

Bei Kierkegaard gehen subtile philosophische Begriffsschärfe - man denke an die Definition des Selbst in der "Krankheit zum Tode" - mit literarischer Eleganz und einem unüberhörbaren Ruf zur Glaubensentscheidung Hand in Hand. Man kann Kierkegaard, der täglich durch Kopenhagen spazierte und sich dabei nach eigener Aussage jeden Tag mit etwa 50 Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten unterhielt, als "tollen Menschen" verstehen, der seinen modernen Zeitgenossen den Satz zuruft "Gott ist lebendig - und das sollte uns unruhig machen, denn es verändert für uns alles".