Donnerstag, 14. Februar 2013

Früher gab es Nietzsche, heute Dawkins

Und hier ist der anspruchsvolle Beitrag zum Papstrücktritt, den der erfolgreiche Buchautor und Religionskritiker Richard Dawkins auf Twitter von sich gegeben hat:
 
Man sehnt sich nach der Zeit, als die Kirche noch bessere Feinde hatte...

Vergelt's Gott, Papst Benedikt

Die acht Jahre des Pontifikats von Papst Benedikt waren für mich Jahre, in denen sich in meinem Denken einiges gewandelt hat, zunächst durch das Studium, dann aber auch durch eigene Erfahrungen und Lektüren. Das hat dazu geführt, dass meine persönliche Wahrnehmung dieses Papstes sich genau entgegensetzt zu seiner Beurteilung durch die deutschen Medien entwickelt hat.
Damals, im April 2005, als Deutschland jubelte "Wir sind Papst!", rutschte mir vor dem Fernseher zunächst spontan ein Fluch heraus, als sich herausstellte, dass der neue Pontifex ausgerechnet Joseph Ratzinger war. Inzwischen ist dieses Entsetzen verschwunden und hat einer tiefen Verehrung für den Theologen Ratzinger und den Papst Benedikt XVI. Platz gemacht. Dabei verstehe ich durchaus manche der Reformanliegen, die bei ihm auf wenig Gegenliebe stießen. Ich habe auch hier und da theologische Kritik - so haben mir seine Jesus-Bücher bei aller beeindruckenden spirituellen Tiefe stellenweise zu sehr einen Zug ins rein Innerliche, schwächen die gemeinschaftsbildende, soziale (und damit auch die kirchliche) Dimension im Wirken Jesu zu sehr ab.
Aber über all dem steht meine Bewunderung für die geistliche Tiefe der Theologie Benedkits, für seine sprachliche Eleganz, für die Klarheit seiner Argumentation, dafür, wie er die Weite der christlichen Glaubenstradition in sich aufgenommen hat und aus ihr schöpft, für die Konsequenz, mit der er den Gottesglauben und die Freude an ihm in den Mittelpunkt seiner Verkündigung stellt.

Und so teile ich die Beurteilung von Bernd Ulrich in der Zeit nicht, dass die Wahl Benedikts "die Wende zum Schweren" für die Kirche gewesen sei. Ich mag mich auch nicht von ihm unter "die deutschen Katholiken" einreihen lassen, für die "das Pontifikat des deutschen Papstes mehr und mehr zu einer Belastung" geworden sei.
Auf der nächsten Seite legen Evelyn Finger und Christiane Florin noch eine Schippe drauf. Da erfahren wir: "Rom hält nicht nach reiflicher Überlegung an den umstrittenen Aspekten der katholischen Glaubenslehre fest. Nein, Rom verweigert in zutiefst christlichen und humanen Fragen (...) einfach die Diskussion. Das ist die Art starrköpfiger Greise." Man muss nicht mit jeder päpstlichen Entscheidung übereinstimmen. Wer aber sich nur ein wenig die Zeit nimmt, auch nur ein paar zusammenhängende Seiten von Benedikts Texten zu lesen, der dürfte bei uneinvorgenommener Beurteilung schnell zu der Überzeugung gelangen, dass da mehr "reifliche Überlegung" drin steckt als bei dem, was viele Journalisten in Deutschland zu kirchlichen Themen schreiben.
Immerhin, das vierseitige Papst-Special der Zeit enthält auch diese Beobachtungen von Jan Ross zum "Ratzinger-Projekt":
"Es ist eine Art Rettungsunternehmen, der Bau einer geistigen und spirituellen Arche - der Versuch, die großen Schätze des Christentums aus einer langen Geschichte zu sammeln, zu bewahren und in die Zukunft mitzunehmen. Formuliert in einer schönen, unverbrauchten Sprache, dialog- und konfliktfähig mit dem Denken der Moderne. Das ist mitnichten bloß Bildung, Gelehrsamkeit, Theologie, sondern für das Glaubensleben genauso zentral wie Seelsorge, Gottesdienst und Caritas."

Von der Zeit zur englischsprachigen Theologie im Internet. Bei ABC Religion & Ethics finden sich wieder einmal zwei ausgezeichnete Artikel zum Papst-Rücktritt, einer von der katholischen Theologin Tracey Rowland und einer von ihrem anglikanischen Kollegen John Milbank.
Stanley Hauerwas und John Milbank treffen Papst Benedikt
Milbank würdigt insbesondere Benedikts Enzykliken. Dabei bescheinigt er dem Papst, voll und ganz in der Theologie verwurzelt zu sein, die dem Zweiten Vatikanischen Konzil seine Substanz gab, dem Ressourcement, das die neuscholastische Trennung von Glaube und Vernunft, Natur und Gnade hinter sich ließ. Milbank schwärmt von der "erotischen Politik" in Benedikts erster Enzyklika "Deus caritas est" und nennt seine dritte, "Caritas in veritate", die radikalste Sozialenzyklika der Nachkriegszeit.
Die mittlere Enzyklika "Spe salvi" kommt hier nur am Rande vor. Mich hat an ihr sehr begeistert, dass sich der Papst dort in einem lehramtlichen Text ganz offiziell distanziert hat von der Vorstellung der Hölle als einer äußerlich verhängten Strafe (in Extreminterpretationen über alle Nichtchristen) und zugleich eine Interpretation der Fegefeuerlehre vorgelegt hat, die ökumenisch anschlussfähig sein dürfte.

Auf Faith and Theology schreibt Ben Myers einen Brief an Papst Benedikt, der die Worte enthält:
"How easy to forget that the church is not ours but God's, and that God leads and sustains the church by secret means of which no tongue can tell. You never forgot this, Holy Father, that is why you had the freedom to take this step, to lay aside your office and creep unburdened into the mystery of prayer."
Und auf Bad Catholic finden sich einige schöne kurze Notizen zu Benedikts Rücktritt, die mit den Worten enden:
"He leaves as he came, with a humility that shook the world."

Acht Jahre nach meinem spontanen Fluch vor dem Fernseher, kann ich sagen: Ich bin dankbar, dass die Kirche diesen Papst haben durfte. Möge der Herr der Kirche ihn segnen - und seinem Nachfolger Weisheit und Stärke verleihen.

Freitag, 1. Februar 2013

Von den Hobbits lernen

Vor ein paar Wochen bin ich auf den sehr guten Blog winged keel and crumpet gestoßen. In seinem ersten Post vor knapp zwei Jahren nimmt Nathan Lyons Bezug auf eine wunderbare Szene im Herrn der Ringe. Denethor, der Truchsess von Gondor, fordert Pippin, den Hobbit, auf, für ihn zu singen. Aber Pippin antwortet: "Wir haben keine Lieder, die für große Hallen und schlimme Zeiten passend sind, Herr. Wir singen selten von etwas Schrecklicherem als Wind oder Regen. Und bei den meisten meiner Lieder handelt es sich um Dinge, die uns zum Lachen bringen; oder um Essen und Trinken, natürlich."

Nathan erzählt, wie ihm bei einer gemütlichen Tasse Tee auf der Veranda die Frage kam, ob das Christentum nicht genau das gegenteilige Problem haben könnte. Uns fehlt es nicht an Liedern für große Hallen und schlimme Zeiten. Die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen unserer Existenz werden bei uns ausgiebig besungen - allein schon die Psalmen sind voll davon. Aber haben wir auch Lieder, die von Wind und Regen singen, von Dingen, die uns zum Lachen bringen, von Essen und Trinken, von einer Tasse Tee auf der sommerlichen Veranda? Wenn der christliche Glaube wirklich die ganze menschliche Existenz deuten will, wäre das Fehlen solcher Lieder ein schmerzhafter Mangel. Aber vielleicht lernen wir ja noch von den Hobbits...