Ich glaube, wir stehen als Seelsorger schon seit Jahrzehnten vor dem Problem, dass wir zwar vieles von den Humanwissenschaften und den klassischen "helfenden Berufen" gelernt haben, und dass sich das auch in vielerlei Hinsicht als hilf- und segensreich erwiesen hat. Zugleich hat es aber auch eine Unklarheit entstehen lassen über den letztlich zutiefst theologischen Kern unseres Selbstverständnisses, der eigentlich all unser Tun orientieren sollte. Stattdessen präsentiert sich unsere Arbeit - jedenfalls außerhalb der Liturgie - oft aus einer Mischung aus ein wenig Psychologie, einer Handvoll Pädagogik, einem guten Schuss Sozialarbeit, viel Organisations- und Projektmanagement, Kommunikationstheorie und Mitarbeiterführung - das Ganze spirituell garniert. Wo ist in all dem gut Gemeinten und oft auch tatsächlich gut Gemachten unser Proprium?
Eine andere literarische Seelsorger-Figur erhebt gegen all das einen dröhnenden Einwand. In John Updikes Roman "Hasenherz", dem ersten seiner Rabbit-Romane, tritt in einer Szene der lutherische Pastor Kruppenbach, Barthianer durch und durch (Updike selbst war zeitlebens von Karl Barth fasziniert), seinem episkopalischen Kollegen Eccles entgegen. Für Kruppenbach ist Eccles nicht anders als Marge Simpson: ein philantropischer Weltverbesserer, der in seinem seelsorgerlichen Tun seinem eigentlichen Auftrag ausweicht:
Finden Sie, dass es Ihre Aufgabe ist, sich in die Angelegenheiten dieser Leute zu mischen? Ich weiß, was man euch heutzutage auf den Seminaren beibringt: all diesen psychologischen Kram. Aber ich bin da ganz anderer Ansicht. Sie glauben, ihre Pflicht ist es, als ehrenamtlicher Arzt zu fungieren, alle Löcher zu stopfen und alles schön glattzumachen. Aber ich bin da anderer Ansicht. Ich finde nicht, dass das Ihre Aufgabe ist. (...) Ich behaupte, Sie wissen nicht, was Ihre Pflicht ist, sonst wären Sie zu Hause und beteten. Das ist Ihre Pflicht: ein Beispiel im Glauben zu geben. Von dort kommt uns der Trost. (...) Indem Sie sich abzappeln, entfernen Sie sich immer weiter von der Aufgabe, die Gott Ihnen gestellt hat, nämlich, Ihren Glauben stark zu machen (...) Sonntag morgens dann, wenn wir vor sie treten, (...) dann müssen wir brennen, sie verbrennen mit der Kraft unseres Glaubens. Darum kommen sie ja. Weshalb würden sie uns sonst bezahlen? Alles Übrige, was wir tun oder sagen können, kann jeder Beliebige tun und sagen. Dafür gibt es Ärzte und Anwälte.Und auf Eccles' erschrockene, abwehrende Reaktion, stellt Kruppenbach die Frage: "Wussten Sie nicht, als Sie diesen Kragen umlegten, was Sie riskieren?"
Nun gibt es sicher einen dritten Weg zwischen Marge Simpson und Fritz Kruppenbach. Und nach dem sollten wir suchen. Ich selbst fand auf dieser Suche in letzter Zeit die Bücher des amerikanischen presbyterianischen Pastors Eugene Peterson sehr hilfreich. Aus langjähriger praktischer Erfahrung schreibt er über ein Selbstverständnis als Seelsorger, das ganz aus dem Gebet und aus dem Hören auf Gottes Wort kommt, das aber zugleich voll wacher Aufmerksamkeit die auf den ersten Blick so banal erscheinenden Geschichten der konkreten Menschen in einer konkreten Kirchengemeinde an einem konkreten Ort wahrnimmt. Diese kleinen Geschichten werden ihm zu unverzichtbaren Bestandteilen der großen Geschichte zwischen Gott und den Menschen. Und auf diese Geschichte bezieht sich sein ganzes Tun als Seelsorger - nicht nur am Sonntag in Liturgie und Predigt, sondern eben auch in all den Gesprächen, Sitzungen und anderen Terminen von Montag bis Samstag.
Nachdem ich schon zwei andere Bücher von Peterson mit Gewinn gelesen habe, lese ich gerade seine Memoiren, die unter dem Titel "The Pastor" erschienen sind. Ich hoffe, im Verlauf der nächsten Wochen hin und wieder ein paar schöne Zitate daraus zu posten.