Dienstag, 29. Januar 2013

Tomas Haliks kleiner Glaube

Schon der Titel macht neugierig: Nachtgedanken eines Beichtvaters. Der tschechische Priester und Theologe Tomas Halik plaudert in diesem Buch aber keineswegs Intimitäten aus dem Beichtstuhl aus. Vielmehr wirft er einen originellen und tiefsinnigen Blick auf die religiöse Situation unserer Zeit - vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die er als Seelsorger in der extrem säkularen tschechischen Gesellschaft macht, nicht zuletzt als Beichtvater.
Ich habe bisher nur die ersten etwa 50 Seiten des Buches gelesen, aber schon jetzt wird klar: Halik bietet neue Blickwinkel und regt zum Nachdenken an. Und er sprengt - Gott sei Dank - die altbackenen Grenzziehungen zwischen "konservativ" und "progressiv".
"Gib uns doch einen 'kleinen' Glauben" ist ein Kapitel überschrieben. Darin macht sich Halik seine Gedanken zum Jesus-Wort "Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn..." Halik schreibt:

Ein geringer, ja unansehnlicher Glaube muss nicht allein die Frucht einer Sünde der Kleingläubigkeit sein. Im "geringen, kleinen Glauben" kann manchmal mehr Leben und Wahrheit enthalten sein als in "großer" Gläubigkeit. Gilt denn nicht auch vom Glauben dasselbe, was Jesus im Gleichnis vom Samenkorn ausgesprochen hat? Dass es, wenn es ohne Veränderung bleibt, keine Frucht bringe, doch dann, sobald es stirbt, reichliche Frucht trägt? Muss denn nicht auch der Glaube im Leben eines Menschen und im Verlauf der Geschichte durch eine Zeit des Absterbens, eines radikalen Geringerwerdends hindurchgehen? Und ist denn nicht gerade diese Krise im eigentlichen Sinne die Zeit der Heimsuchung, des "kairos", sofern wir diese Situation im Geiste der paradoxen Logik des Evangeliums wahrnehmen, in dem das Kleine das Große überwiegt, Verlust und Sich-Freimachen Gewinn sind und das Geringmachen des eigenen Selbst das Offensein für das Anwachsen des Werkes Gottes sind?

Mit dem "kleinen Glauben" meint Halik aber keineswegs eine liberalistische Anpassung des Glaubens an allgemeine religiöse und weltanschauliche Plausibilitäten:

Ich bin davon überzeugt, dass gerade der im Feuer der Krise gewandelte und gerade von diesem "allzu Menschlichen" befreite Glaube gegenüber den fortwährenden Versuchen religiöser Vereinfachung, Vulgarisierung und billiger Anbiederung stärkere Widerstandskraft entwickeln wird.

Ich finde Haliks Gedanken sehr entlastend. Meinen eigenen Glauben erlebe ich auch oft als klein. Viele meinen, wenn sie es sich nicht vorstellen können, dass es einen Gott gibt, dass Jesus Gottes Sohn ist, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dann können sie es mit dem Glauben gleich ganz sein lassen. Mir fällt es auch oft schwer, mir all das vorzustellen. Oft ist mein Glaube dafür zu klein. Aber zugleich weiß ich, dass mein Glaube nicht davon abhängt, was ich mir vorstellen kann, wovon ich mich selbst überzeugen kann. Mein Glaube darf klein sein und es Gott überlassen, diesen kleinen Glauben mit seiner Größe zu füllen. Und so beschließt auch Tomas Halik das Kapitel mit einem Gebet:

"O Herr, wenn unsere Religiosität durch unsere Sicherheit ziemlich beschwert worden ist, löse uns doch aus diesem 'großmächtigen Glauben'; entferne aus unserer Religiosität dieses 'allzu Menschliche' und gib uns einen 'Gottesglauben'. Gib uns, so es dein Wille ist, lieber einen kleinen Glauben, so klein wie ein Senfkorn, einen ganz geringen - der doch erfüllt ist von Deiner Stärke!"

Mittwoch, 23. Januar 2013

Genosse Zausebart

Die Stuttgarter Gruppe "Die Füenf" antwortet auf Wolfgang Thierses Schwaben-Kritik. Und als Wahlschwabe verlinke ich gerne auf das Video zu "Genosse Zausebart".


Einige Bücher zum Thema "Beten"

Im Februar werde ich für die Teilnehmer eines Glaubenskurses, den ich anbiete, ein geistliches Wochenende in einem Kloster gestalten. An dem Wochenende soll es vor allem um eine Einführung ins christliche Beten gehen. Zur Vorbereitung will ich einige Bücher zum Thema "Gebet" durchsehen, die ich besonders empfehlenswert finde:

Gerhard Lohfink: Beten schenkt Heimat

Ein hervorragendes Buch meines Lieblings-Neutestamentlers, in dem er die Bedeutung des Betens vor allem (aber nicht ausschließlich)  anhand biblischer Texte erschließt. Ein guter Teil des Buches besteht daher auch aus der eingehenden Untersuchung biblischer Gebetstexte.

Gabriel Bunge: Irdene Gefäße

Der inzwischen zur russisch-orthodoxen Kirche übergetretene Eremit Gabriel Bunge führt den Leser in diesem faszinierenden Buch in den Schatz der patristischen und ostkirchlichen Gebetsspiritualität ein.

Hubertus Halbfas: Der Sprung in den Brunnen

Eine tolle Sammlung ganz unterschiedlicher Gedanken zum Thema Beten. Allerdings kann ich das Buch auch nicht ganz uneingeschränkt empfehlen, da Halbfas den meiner Ansicht nach nicht wirklich zielführenden Versuch unternimmt, eine allgemeine Einführung ins Beten zu geben, ohne dieses Beten in einer konkreten (christlichen) Tradition zu verorten.

Franz Jalics: Lernen wir beten

Im letzten Jahr habe ich Exerzitien bei zwei Begleitern gemacht, die von Franz Jalics in das kontemplative Beten eingeführt wurden. Jalics ist gebürtiger Ungar, hat lange in Argentinien gelebt und später ein Exerzitienhaus im Fränkischen aufgebaut. Sein Zugang zu Spiritualität und Kontemplation ist auf wohltuende Weise nüchtern und fest in der Tradition christlichen Betens verwurzelt. Mir haben die Exerzitien einen echten Zugang zum kontemplativen Gebet erschlossen.


Richard J. Foster: Prayer. Finding the Heart's True Home
Richard J. Foster: Nachfolge feiern


Richard Foster ist Quäker. In seinen Büchern zu Gebet und geistlichem Leben schöpft er ausgiebig aus dem reichen Fundus der gesamten christlichen Traidition aller Zeiten und Konfessionen. Die eigene evangelikale Prägung wird dabei aber durchaus deutlich, was für einen katholischen Leser an manchen Stellen zugleich irritierend und bereichern sein kann.



Hans Urs von Balthasar: Das betrachtende Gebet

Auch wenn ich gestehen muss, dass ich diesen Klassiker noch nicht gelesen habe, war ich der Meinung, dass er auf einer Buchliste zum Thema Beten nicht fehlen darf. Wie bei wenigen anderen Autoren des 20. Jahrhunderts ist es bei Hans Urs von Balthasr beeindruckend, wie seine profunde Bildung und tiefgreifende theologische Reflexion sich mit der Frage nach dem geistlichen Leben des Christen verbindet.

Und schließlich gebe ich die Frage gerne weiter: Wer hat lohnende Buchempfehlungen zum Thema, die hier nicht aufgeführt sind?


Donnerstag, 17. Januar 2013

Bücher des Jahres bei ABC Religion & Ethics

Eine hervorragende Quelle für aktuelle Online-Texte hauptsächlich englischsprachiger theologischer und philosophischer Autoren ist die Seite ABC Religion & Ethics, Teil des Onlineangebots des australischen Senders ABC. Einige meiner Lieblingsautoren (John Milbank, Stanley Hauerwas, Rowan Williams...) sind regelmäßig mit tollen kurzen und mittellangen Aussätzen vertreten.

Scott Stephens, Redakteur der Seite, schreibt hier über die besten theologischen Bücher des letzten Jahres und verbindet das mit interessanten Beobachtungen zu neuerer Belletristik und gesellschaftlichen Entwicklungen. Vertreten ist unter den Autoren des Jahres auch Robert Spaemann, den ich bei einer Veranstaltung in unserer Kirchengemeinde im letzten Jahr schon zum zweiten Mal live erleben konnte.

Dienstag, 15. Januar 2013

Kirche und Welt - Anregungen von Clemens und Justin

Bei meiner bisherigen Kirchenväterlektüre ist mir noch einmal bewusst geworden, wie viele der Fragen, mit denen sich die Väter konfrontiert sahen, zu bleibenden Fragen für Theologie und Kirche geworden sind. Eine Frage, die mich seit einiger Zeit beschäftigt, ist die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Welt. Bei einer Dekanatskonferenz habe ich einmal in einer Gruppendiskussion eher nebenher auf dieses Spannungsverhältnis hingewiesen. Ein Diakon sah mich daraufhin an, als habe er die versammelte Piusbruderschaft vor sich. Die Kirche sei doch schlichtweg ein Teil unserer Welt, da dürfe es doch überhaupt keine Spannung geben - und wo es sie doch gibt, umso schlimmer.

Der Beginn des Ersten Clemensbriefs spricht da in deutlichen Worten eine andere Sprache: "Die Kirche Gottes, die zu Rom in der Fremde lebt, an die Kirche Gottes, die zu Korinth in der Fremde lebt." Dieses Bewusstsein, dass die Kirche Gottes in dieser Welt immer irgendwie in der Fremde lebt, teilt Clemens von Rom mit dem amerikanischen Theologen Stanley Hauerwas. Im Vorwort zu seinem Buch "Resident Aliens" unterstreicht er, es sei das Wesen der Kirche, zu jeder Zeit und in jeder Situation eine Kolonie zu sein - eine Kolonie von Gottes neuer Welt in unserer alten. Wo das ernst genommen wird, bleibt es nicht aus, dass sich Kirche und Welt irgendwie fremd gegenüber stehen.

Was nun dieses Bewusstsein vor dem Abgleiten in Fundamentalismus bewahrt, sind zwei ergänzende Überzeugungen: Die Kirche ist nicht für sich da, sondern für die Welt. Die Kirche hat der Welt zu dienen, und sie tut es gerade, indem sie anders ist als die Welt. "The first task of the church is not to make the world more just, but to make the world the world" (Stanley Hauerwas).

Die zweite Ergänzung findet sich eindrucksvoll bei einem anderen der frühen Kirchenväter, bei Justin dem Märtyrer. In seinen beiden Apologien sucht er die intelektuelle Auseinandersetzung mit der heidnischen Umwelt. Dass eine solche Auseinandersetzung möglich ist, hat seine Ursache nicht etwa in einer gemeinsamen neutralen Vernunftbasis, sondern vielmehr darin, dass auch der nichtchristliche Gesprächspartner "Anteil hat an dem in Keimen ausgestreuten Logos (logos spermatikos) und für das diesem Verwandte ein Auge hat" (2.Apologie 13).

Das Bewusstsein eines Fremdseins in der Welt darf nicht dazu führen, dass sich christliche Gottesrede in ein Ghetto zurückzieht. Das Gespräch mit der Kultur, in der sich Kirche jeweils vorfindet, im Sinn einer vernünftigen Apologetik muss geführt werden. Der anglikanische Theologe Graham Ward drückt es so aus:

"Christian apologetics situates the theological task with respect to the gospel of salvation in Christ freely offered to the world; a world not divorced from Christ but whose meaning is only known with respect to Christ as the one through whom all things were made and have their being. (...) Upon the basis of apologetics rests, then, the Christian mission not only to disseminate the good news, but to bring about cultural transformation concomitant with the coming of the Kingdom of God. (...) Both the danger and the possibility of apologetics lie in the degree of critical difference between the Christian evangelium and the ways of the world. But, and this remains fundamental, neither can be accessed without the other." (Cultural Transformation and Religious Practice)

"Christliche Apologetik verortet die Aufgabe der Theologie mit Bezug auf die frohe Botschaft von der Erlösung in Christus, die der Welt in Freiheit angeboten wird; einer Welt, die nicht von Christus getrennt ist, sondern deren Sinn nur in Beziehung zu Christus erkannt werden kann, durch den alle Dinge gemacht wurden und ihr Sein haben. (...) Auf der Grundlage der Apologetik steht daher die christliche Sendung, die gute Nachricht nicht nur auszubreiten, sondern auch kulturelle Veränderung zu bewirken, die dem Kommen des Gottesreiches entspricht. (...) Sowohl die Gefahr als auch die Möglichkeit von Apologetik liegen in dem Grad kritischer Differenz zwischen dem christlichen Evangelium und den Wegen der Welt. Aber - und das bleibt entscheidend - zu keinem von beiden gibt es einen Zugang ohne das jeweils andere." (Meine Übersetzung)

Dienstag, 8. Januar 2013

Kirchenväter zum Morgenkaffee

Vor ein paar Wochen bin ich auf ein tolles Leseprojekt im Internet gestoßen. Bibellesepläne gibt es ja schon seit langem. Nun habe ich auf der Website Read the Fathers einen auf acht Jahre angelegten Leseplan für die Kirchenväter gefunden. Da ich bisher nur sehr wenig patristische Literatur gelesen habe (im Wesentlichen etwas Augustinus und ein paar kleinere Absätze hier und dort), habe ich beschlossen, mich dem Leseprojekt anzuschließen.

Der Leseplan geht im Wesentlichen chronologisch vor. Auf der Website gibt es jeweils den Text des Tages in englischer Übersetzung. Wer wie ich nach einer anderen Ausgabe lesen möchte, findet auch den Leseplan für die ersten beiden Jahre zum Download. Als tägliche Lesedauer sollte man ca. 20 Minuten kalkulieren - also z.B. etwas für die erste Tasse Kaffee am Morgen.

Ich selbst lese nach der deutschen Übersetzung in der Bibliothek der Kirchenväter, die es auch online gibt. Da mein Chef sie vollständig im Regal stehen hat, ziehe ich es vor, sie mir von ihm auszuleihen. Momentan hinke ich dem Leseplan noch etwas hinterher, da ich ihn erst mit zwei Wochen Verspätung entdeckt habe. Durch die Apostolischen Väter bin ich schon durch und lese jetzt gerade Justin den Märtyrer. Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass diese Lektürezeit gut angelegt ist.

Freitag, 4. Januar 2013

Sub ratione Dei

Die Chemie beschäftigt sich mit Stoffen, die Zoologie mit Tieren, die Anglistik mit englischer Sprache und Literatur. Womit beschäftigt sich die Theologie? Es wäre nahe liegend, zu sagen: mit Religion. Theologie ist aber nicht Religionswissenschaft.
Thomas von Aquin
Besser ist schon die Antwort: mit Gott. Aber auch das trifft es noch nicht ganz. Die Theologie beschäftigt sich mit Gott und mit allem. Mit allem "sub ratione Dei". Thomas von Aquin schreibt in der Summa Theologiae:   
"Alles wird in der Heiligen Lehre (= Theologie) aber unter dem Gesichtspunkt Gottes (sub ratione Dei) behandelt, weil es entweder Gott selbst ist oder weil es eine Ordnung auf Gott als seinen Ursprung und sein Ziel hin hat."
Inhalt der theologischen Beschäftigung, ihr Materialobjekt, kann wirklich alles sein, die ganze bunte (und manchmal auch düstere) Wirklichkeit. Ihr Bezugsrahmen, ihr Formalobjekt, ist dabei aber stets Gott. Wo dieser Geischtspunkt verschwindet, ist es keine Theologie mehr.

Dieser Blog ist ein Experiment, von dem ich keine Ahnung habe, wo es hin führt. Ich weiß selbst noch nicht, über welche Inhalte ich bloggen werde. Sicher über Theologie. Über Theologie, wie sie mir in Büchern begegnet, und über gelebte Theologie, wie sie mir in meinem Berufsalltag als Pastoralreferent, im eigenen geistlichen Leben und im Zusammensein mit Familie und Freunden begegnet. Aber sicher auch über manches andere, was mir in die Augen und Ohren (vielleicht auch in die Nase und an den Gaumen) fällt - das bunte Leben - sub ratione Dei.