Montag, 20. Juni 2016

Leitungskongress (VII): Joseph Grenny - Schwierige Gespräche führen

Der zweite Vortrag von Joseph Grenny in Hannover hatte ein Thema, das gerade auch in Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Organisationen hohe praktische Relevanz hat – weil es dort oftmals ignoriert wird, wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß.

Entscheidende Gespräche in einer Organisation zeichnen sich laut Joseph Grenny durch drei Faktoren aus: Sie enthalten gegensätzliche Meinungen, sie gehen mit starken Gefühlen einher und sie haben ein hohes Risiko, was ihren Ausgang angeht.

Die Gesundheit einer Beziehung, eines Teams oder einer Organisation leitet sich laut Grenny ab aus der durchschnittlichen Zeitdauer zwischen der Identifikation eines Problems, das ein entscheidendes Gespräch erfordern würde, und dem Gespräch selbst. Insbesondere in Kirchengemeinden gäbe es allerdings meistens keine Kultur für Konflikte und solche schwierigen Gespräche.

Das stimmt mit meiner Beobachtung ganz klar überein. Auch mit meiner Selbstbeobachtung übrigens. Wir tendieren in kirchlichen Kreisen allzu oft dazu, konfliktträchtige Gespräche zu vermeiden. Und Grenny macht zurecht klar, dass wir damit nichts gewinnen, aber sehr viel verlieren können. Er weist darauf hin, das auch in der Bibel das Prinzip gelte, die Wahrheit in Liebe anzusprechen, und nicht etwa, sie zu verschweigen. Wir haben dagegen häufig das Gefühl, dass wir uns zwischen Wahrheit und intakter Beziehung entscheiden müssten. Stabile Freundschaften und Beziehungen funktionieren aber im Gegenteil nur auf Grundlage von Wahrheit.

Grenny nannte einige Situationen in einer Gemeinde, die entscheidende Gespräche erfordern würden: Wenn haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter nicht die gewünschte Leistung erbringen; wenn Gemeindemitglieder mit Sünde kämpfen oder sich von der Gemeinde entfernen; wenn es Schwierigkeiten mit der Gemeindeleitung gibt.

Entscheidend ist es für unsere Gemeinden, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen offen ihre Meinung sagen können. Denn schwierige Gespräche sind der entscheidende Weg, unsere Ziele zu erreichen.

Wenn nun tatsächlich angesichts eines bestehenden Problems ein Gespräch stattfindet, kann natürlich immer noch einiges schiefgehen. Es kann z.B. sein, dass wir über das Falsche reden, über einen Nebenschauplatz, aber nicht über das eigentliche Problem. Ein Signal dafür ist es, wenn wir dasselbe Gespräch immer wieder führen, ohne dass sich an der unbefriedigenden Situation irgendetwas ändern würde.

Helfen kann es dann, wenn man darüber nachdenkt, wo der Kern des Problems liegt. In dem direkten Problem, welches das Gespräch veranlasst hat? Oder eher in einem wiederkehrenden Muster, das bereits zu verschiedenen Problemen geführt hat? Oder – noch fundamentaler – in einer gestörten Beziehung? Je nachdem ist ein unterschiedliches Gespräch nötig.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass Ehrlichkeit niemals das Problem ist. Grenny schärfte noch einmal ein, dass man die Wahrheit sagen und einen Freund behalten bzw. eine Beziehung aufrecht erhalten oder sogar verbessern kann. Dazu ist es entscheidend, mit der Haltung in ein Gespräch zu gehen: „Wir haben ein Problem“, nicht etwa „Du hast ein Problem“ oder gar „Du bist ein Problem“. Zwei Faktoren sind laut Grenny in den ersten 30 Sekunden eines Gesprächs dafür entscheidend, dass es der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern mehr nutzt als schadet: Zu zeigen, dass die Probleme des anderen dir wichtig sind, weil ihr gemeinsame Ziele habt. Und zu zeigen, dass dir die andere Person wichtig ist, weil eure Beziehung auf gegenseitigem Respekt aufbaut. Durch die Berücksichtigung dieser Faktoren entsteht eine Atmosphäre der Sicherheit, in der man dann tatsächlich über alle Probleme offen reden kann.

Ich erlebe es immer wieder, in der Kirchengemeinde, auf diözesaner Ebene und anderswo, dass aus einem falschen Harmoniestreben heraus Probleme nicht offen und ehrlich angesprochen werden. Und ich bekenne offen, dass das auch bei mir immer wieder vorkommt. Aus Angst davor, ein offen angegangener Konflikt könnte Beziehungen verkomplizieren oder zu noch mehr Ärger führen, lässt man Dinge auf sich beruhen. Das kann lähmen, das kann Nerven kosten, das kann uns an der Erfüllung unseres Auftrags hindern. Und das kann schleichend die menschliche Kultur in einer Gemeinde oder Organisation vergiften, weil ja nicht etwa nicht über die Probleme gesprochen wird, sondern dann eben oftmals in Andeutungen oder hintenherum. Auch Papst Franziskus prangert ja immer wieder das Gelästere in der Kirche an. Eine offene, ehrliche und vor allem von Respekt und Wertschätzung geprägte Gesprächs- und Konfliktkultur, wie sie Joseph Grenny in Hannover beschrieben hat, kann da Abhilfe schaffen.

Dienstag, 7. Juni 2016

Leitungskongress (VI): Christine Caine - In der Dunkelkammer Gottes

„Jeder braucht eine verrückte Tante aus Australien“, bemerkte Christine Caine zu Beginn ihres Vortrags – und als solche präsentierte sie sich. Zugleich überdreht und erfrischend, forderte Christine Caine mit ihrem ungebremsten Redefluss die ausgezeichnete Simultanübersetzerin ganz gehörig. Christine Caine hat eine schwere Lebensgeschichte hinter sich, geprägt von sexuellen Missbrauchserfahrungen in ihrer Kindheit. Heute ist sie Autorin einer Reihe christlicher Bücher und gemeinsam mit ihrem Ehemann Gründerin mehrerer Organisationen: zur Bekämpfung von Menschenhandel, zur Unterstützung christlicher Gemeinden und Gemeinschaften weltweit und zur Förderung von jungen Frauen in Leitungspositionen.

In Hannover sprach Christine Caine von der Dunkelkammer Gottes. Sie erinnerte an die Zeiten (lang ist’s her), als man in eine Fotokamera noch einen Film einlegen musste, der dann in der Dunkelkammer eines Fotolabors entwickelt werden musste. Gott „entwickelt“ und in seiner Dunkelkammer. Wir wollen aber häufig aus dieser Dunkelkammer Gottes fliehen, bevor er mit uns fertig ist. Christine Caine wies mit dieser Metapher auf die langen Durststrecken hin, die es im Leben eines Seelsorgers und Gemeindeleiters gibt. Wo sich Erfolge nicht einstellen wollen, wo nichts vorwärts zu gehen scheint, wo Frust und Selbstzweifel wachsen. Nach Christine Caine sind das Zeiten, die wir in der Dunkelkammer Gottes verbringen. Gott nutzt diese Zeiten für unsere Entwicklung. Das gilt es durchzuhalten – in der Zuversicht, dass Gott Großes mit uns vorhat, auch wenn das noch nicht sichtbar ist.

Christine Caines Begeisterung für den Glauben war ansteckend und motivierend. Zugleich war das auch einer der Vorträge, während denen für mich deutlich wurde, dass dieser Stil, über den Glauben zu reden, für mich zwar ein interessantes Gegengewicht zu der meist sehr zurückhaltenden, defensiven Glaubenssprache meiner eigenen Kirche ist, dass ich das aber auch nicht immer haben wollte.

Ermutigung hatte Christine Caine gerade auch für die Kirche in Deutschland parat. Enthusiastisch lobte sie die Aufnahmebereitschaft vieler Deutscher in der Flüchtlingsfrage: „The grace of this nation is unbelievable!“ Kurz vor dem Kongress in Hannover war die Stimmung in manchen Kreisen in Deutschland ja schon sehr stark am Kippen, insbesondere nach der Silvesternacht in Köln. Da war es umso interessanter und hoffnungsvoller zu erleben, wie engagierte Christen aus dem Ausland – und zwar keine liberal-progressiven, sondern evangelikale – die Situation wahrnahmen. „Die Augen der Welt schauen auf euch!“ rief Christine Cainer ihren deutschen Zuhörern zu. Und sie zeigte sich überzeugt: „Die größten Tage der Kirche in dieser Nationen liegen vor uns, nicht hinter uns.“
Diesen Optimismus können wir dringend gebrauchen. So oft nimmt der Blick auf die Kirche in Deutschland nur Abwärtstrend, Niedergang, Bedeutungsverlust wahr. Aber darunter können sich unerwartete Aufbrüche ereignen. Und sie ereignen sich auch bereits vielerorts. Wir dürfen noch etwas erwarten von der Zukunft der Kirche in unserem Land.