Mittwoch, 4. Mai 2016

Leitungskongress (V): Johannes Hartl - Existenzielles Gebet

Johannes Hartl ist – ich muss es vorweg sagen – bei mir mit ambivalenten Gefühlen besetzt. Der katholische Theologe und Gründer des Augsburger Gebetshauses ist ein sehr origineller Redner und Autor, klug argumentierend und lebendig erzählend. Geistliches Leben und Gebet ist seine große Leidenschaft und die Begeisterung dafür will er weitergeben. Gleichzeitig ärgere ich mich immer wieder über Tweets von ihm, die in gesellschaftspolitischen Fragen eine eigenartige Freund-Feind-Polemik pflegen und fragwürdige Stimmungen bedienen. Da frage ich mich manchmal, ob das wirklich ein und derselbe Mensch sein soll. Naja, in der Flüchtlingsfrage konnte er in Hannover von Michael Diener, Christine Caine und Michael Herbst Stoff zum Nach- und vielleicht Umdenken erhalten – zumindest was manche Formulierungen angeht.

Johannes Hartls Vortrag selbst war völlig überzeugend. Es ging um das Gebet. Aber zunächst einmal ging es um – nichts. Und tatsächlich mutete Hartl es den Zuhörern zu, dass erst einmal lange nichts geschah und nichts gesprochen wurde. Sich über das Nichts dem Thema „Existenzielles Gebet“ anzunähern, das stößt bei jemandem wie mir, für den die Tradition negativer Theologie ein ganz wichtiger Einfluss war und ist, gleich mal auf Sympathie.

Beten heißt für Hartl, sich erst einmal von jedem „Etwas“ frei zu machen, das sonst unser Leben bestimmt. Statt dem Etwas-Tun, Etwas-Denken, Etwas-Wollen ist der Weg des Gebets der Weg nach Innen, der Weg zum Sein führt.

Und solches beten kann man lernen, führte Hartl aus. Ist das einfach oder schwer? Beten ist wie lieben, meint Johannes Hartl, es ist einfach, aber es kostet dich alles. Eine tolle Formulierung! Beten ist der Ort der Kapitulation, der Moment, an dem ich es aufgebe, selbst etwas erreichen zu wollen und mich ganz Gott überlasse – ganz einfach und unendlich schwer. Wo solches Beten gelernt wird, da kann daraus ein Lebensstil entstehen, der von innen wächst, der komplett aus dem Sein lebt. Das ist eine Herausforderung für den Einzelnen, aber auch für Gemeinden. Johannes Hartl träumt von Gemeinden, die das Innen neu entdecken.

Da schließt Hartl an den Wunsch von Papst Johannes Paul II. an, dass Gemeinden Schulen des Gebets sein mögen. Lokale Kirchenentwicklung wird in unserem Prozess „Kirche am Ort“ als geistlicher Prozess verstanden, der von geistlichen Haltungen geprägt ist. Solche Haltungen sind gut und wünschenswert. Vielleicht müssen wir uns aber auch noch stärker darauf besinnen, dass jede nachhaltige kirchliche Erneuerung eine Erneuerung und Vertiefung des Gebetslebens braucht. Wie können Gemeinden das Innen neu entdecken und zu Schulen des Gebets werden? Diese Zukunftsfrage gehört hinein ins Zentrum jeder Kirchenentwicklung und des Prozesses „Kirche am Ort“.